Change Management als Element der Vertragsgestaltung

Change Management als Element der Vertragsgestaltung

März 2020

Romeo Minini

, lic. iur., Rechtsanwalt, Exec. MBA HSG

«Vertragliche Bestimmungen, die sich mit Anpassungen des Vertragsinhalts befassen, gehören zwingend in einen Vertrag mit einer längeren Laufzeit.»

Verträge werden abgeschlossen, um eine verbindliche Rechtsgrundlage zu schaffen. Für die Parteien stellen die Rechtssicherheit und die Unveränderbarkeit der vertraglichen Bestimmungen grundlegende Anforderungen an eine Vertragsbeziehung dar. Es fragt sich, ob Änderungsprozesse überhaupt in das System des Vertragsrechts passen. Change Management im Vertragsrecht konzentriert sich auf das Regeln des Verfahrens zur Vertragsanpassung mit Auswirkungen auf die Zukunft. Die nachstehenden Ausführungen zeigen rechtliche Möglichkeiten auf, wie mit Vertragsanpassungen umzugehen ist.

 

Die Frage nach einer Vertragsanpassung ist hinfällig, wenn der Abschluss und die Erfüllung des Vertrags zeitlich zusammenfallen. Ein solches Rechtsgeschäft liegt vor, wenn bei einem Kaufvertrag der Käufer den Preis bezahlt und der Verkäufer die Kaufsache unverzüglich aushändigt. Ist das Vertragsverhältnis auf eine längere Dauer ausgerichtet, können die Parteien ihre Bedürfnisse oftmals nicht von Beginn weg für die gesamte Vertragsdauer festlegen. Allenfalls ändern sich mit der Zeit die Vorstellungen der Parteien gegenüber den erwarteten Leistungen oder es treten veränderte Umstände ein, mit denen die Parteien beim Vertragsabschluss nicht gerechnet haben. Die Parteien stehen dann vor der Frage, wie sie mit diesen Tatsachen rechtlich umgehen sollen.

 

Noch heute gilt der Grundsatz nach römischem Recht, dass Verträge einzuhalten sind (pacta sunt servanda). Zugleich ist jedoch auf das Vertrauensprinzip hinzuweisen, das – gestützt auf eine gefestigte Gerichtspraxis – als Grundlage für Vertragsanpassungen zu betrachten ist. Gemäss diesem Prinzip sind Verträge inhaltlich bei wesentlich geänderten Umständen zu korrigieren. Die geänderten Umstände dürfen für beide Parteien beim Abschluss des Vertrags nicht vorhersehbar gewesen sein; die Parteien haben mit ihrem Eintritt somit nicht rechnen müssen. Als weitere Voraussetzung muss aufgrund der geänderten Umstände ein erhebliches Missverhältnis zwischen den Leistungen der Parteien eintreten, das – gestützt auf Treu und Glauben – als stossend zu bezeichnen ist. In der Praxis spielt dieser Grundsatz allerdings eine untergeordnete Rolle, weil dieser Tatbestand selten eintrifft und in der Regel kaum bewiesen werden kann.

 

Weil keine gesetzlichen Grundlagen für vertragliche Anpassungen bestehen, öffnet sich den Parteien ein breiter Gestaltungsspielraum für passende Lösungen. Die Parteien können grundsätzlich jederzeit im gegenseitigen Einvernehmen Verträge inhaltlich anpassen. Wie sie zu diesem Ziel gelangen, bleibt ihnen überlassen. Scheitern die Bemühungen der Parteien um einen Konsens, kann das Vertragsverhältnis einvernehmlich oder gestützt auf eine Kündigung beendet werden. Dieses Vorgehen ist einem Streitverfahren mit ungewissem Ausgang und hohen Kostenfolgen stets vorzuziehen.

 

In langjährigen Vertragsverhältnissen sind die Parteien daher gut beraten, wenn sie Anpassungen im Voraus vertraglich regeln und insbesondere folgende Fragen klären:

 

  • Welches sind die Auslösungsgründe für nachträgliche Änderungen des Vertragsinhalts?
  • Welche inhaltlichen Vertragspunkte können geändert werden und welche bleiben unverändert?
  • Welche vertragsrechtlichen Anpassungsmöglichkeiten stehen für die Parteien im Vordergrund?
  • Wie ist das Verfahren zu regeln?

 

Soviel vorab: Die eine richtige Antwort gibt es nicht. Vielmehr müssen die Parteien einen Weg suchen, der ihren Bedürfnissen und Anliegen gerecht wird. In der Praxis haben sich etwa folgende formellen und materiellen Vertragspunkte bewährt.

 

Formelle und materielle Vertragspunkte


Zu den formellen Vertragspunkten gehören die Formvorschriften. Die notwendige Schriftform jeder Vertragsanpassung ist eine Selbstverständlichkeit. Die Parteien beachten bei der Formulierung ihrer Willensäusserungen und verbindlichen Stellungnahmen oftmals zu wenig, dass jede schriftliche Nachricht Beweisqualität aufweist – ob als E-Mail oder unterzeichnetes Schriftstück. Die Parteien können sich in einem Gerichtsverfahren auf diese Unterlagen abstützen, wenn sie Tatsachen begründen, Ansprüche geltend machen oder ihre Position vertreten wollen.

 

Die vertraglichen Regelungen über die Informations- und Kommunikationsabläufe im Vertragsanpassungsprozess dienen der Transparenz im Verfahrensablauf. Diese Bestimmungen sind auch deswegen von Bedeutung, weil die Mitteilungen der Parteien nicht nur in der korrekten Form ergehen müssen, sondern auch an die zuständigen Stellen. Daher sind die verantwortlichen Instanzen, die Entscheide im Änderungsprozess treffen können, vertraglich festzuhalten.

 

Zudem sind in den Änderungsprozessen die zeitlichen Verhältnisse zu klären. Die Abläufe im Verfahren müssen terminiert sein, und es gilt für die Parteien, verbindliche Fristen festzulegen. Diese ermöglichen einen strukturieren Ablauf im Zusammenhang mit dem Antrags- und Annahmeverfahren von Änderungsbegehren oder den Stellungnahmen der Parteien. Standardisierte Vorgaben, beispielsweise in den allgemeinen Geschäftsbedingungen, erleichtern den praktischen Vollzug.

 

Die Kostenverteilung zwischen den Parteien im Zusammenhang mit den vertraglichen Anpassungen bildet oftmals Gegenstand von Meinungsdifferenzen. In formeller Hinsicht ist festzulegen, welche Partei die Kosten für das Verfahren der Vertragsanpassung trägt. In der Regel teilen die Parteien diese Kosten hälftig. In materieller Hinsicht ist zu klären, welche Kostenfolgen aufgrund der Anpassung der vertraglichen Leistungen eintreten und wie diese Kosten zwischen den Parteien aufzuteilen sind. Ausgangspunkt der Kostenregelung bildet der ursprünglich vereinbarte Vertragsgegenstand. Bestehende Abweichungen sind von derjenigen Partei aufzuzeigen, die sich auf sie beruft. Die Parteien haben den Inhalt und den Umfang der Leistungsänderungen einvernehmlich zu bestimmen. Gestützt auf diesen Konsens, teilen die Parteien die mit diesen Änderungen verbundenen Kosten. Dabei hat grundsätzlich diejenige Partei, die eine Leistungsänderung verlangt, die daraus entstehenden Kosten zu tragen. Oftmals legen die Parteien von diesem Grundsatz abweichende Regelungen über die Kostenteilung fest, namentlich, wenn besondere Umstände in der Vertragsbeziehung ein solches Vorgehen rechtfertigen.

 

Die Überprüfung der Leistungserfüllung erfolgt allenfalls im Rahmen eines (Vertrags-)Controllings. Mit Hilfe dieser Massnahme sind Differenzen zwischen der Ist-Situation und dem erwarteten Soll-Zustand in Bezug auf die Vertragserfüllung festzustellen. Das Ergebnis dient als Grundlage für die Vertragsanpassungen. Die Parteien haben Folgendes einvernehmlich zu vereinbaren: die Abläufe der Kontrollen, die Abwicklung der Prüftätigkeiten, die Beschreibung der Prüfergebnisse und die Berichterstattung.

 

Fazit

 

Vertragliche Bestimmungen, die sich mit Anpassungen des Vertragsinhalts befassen, gehören zwingend in einen Vertrag mit einer längeren Laufzeit. Solche Bestimmungen berücksichtigen die seit Vertragsabschluss eingetretenen veränderten Umstände sowie die angepassten oder erweiterten Anforderungen der Parteien an den ursprünglich vereinbarten Vertragsgegenstand. Sie leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur Rechtssicherheit und zum Vertrauen der Parteien in ihre Willensäusserungen, zu denen auch die Regelungen über das Change Management im Vertragsrecht zählen.

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