Die Sache mit dem Speicher 

Die Sache mit dem Speicher 

September 2018

Stefan Menzi

, Dipl. El.-Ing. ETH

«Nach der Energiewende werden wir uns erneut mit dem Pragma der linearen Verfügbarkeit von Energie beschäftigen müssen, insbesondere was den Strom betrifft.»

Eine der wesentlichen und oft verkannten Errungenschaften des 19. Jahrhunderts ist die lineare Verfügbarkeit von Energie, erst dank Wasserkraft und Dampfmaschinen, später dank Gas und elektrischem Strom. Diese stete Verfügbarkeit war eine wesentliche Voraussetzung für die industrielle Revolution, heute gilt sie als selbstverständlich. Wir haben uns daran gewöhnt, dass sich der Lift auf Knopfdruck augenblicklich in Bewegung setzt und ohne längeren Unterbruch im dritten Stock ankommt. Nach der Energiewende werden wir uns erneut mit dem Pragma der linearen Verfügbarkeit von Energie beschäftigen müssen, insbesondere was den Strom betrifft.

Die Erzeugung und Verteilung der elektrischen Energie ist in der Schweiz darauf ausgerichtet, dass die Erzeuger die Energiemenge regeln, die ins Netz gelangt. Die Regelung geschieht einerseits langsam durch das Ein- und Ausschalten ganzer Anlagen oder einzelner Turbinen, andererseits schnell, indem einige grosse Anlagen eine Leistungsreserve vorhalten und innert weniger Millisekunden auf Lastschwankungen reagieren können. Durch eine stete Überproduktion wird also allzeit genügend Energie bereitgestellt, damit kurzfristige Leistungsschwankungen im Netz ausgeglichen werden können. Es muss zu jeder Zeit exakt gleich viel Energie ins Netz eingespeist wie entnommen werden, ansonsten wird das Netz instabil und schaltet automatisch aus.

Das Stabilitätskriterium ist durch die Energiestrategie 2050 in mehrfacher Hinsicht in Frage gestellt:

  • Die kurzfristige Regelung der Energiemenge lässt sich nach Abschaltung der grossen Werke (AKW) nicht mehr zentral bewerkstelligen. Wie die Energiemenge dezentral durch die vielen kleinen Erzeuger geregelt werden soll, ist bis heute nicht bekannt, geschweige denn grossflächig erprobt.
  • Die Photovoltaik und der Windstrom liefern im Tages- und Jahresverlauf unregelmässig Strom und der Verlauf ist schlecht planbar. Dieser variable Verlauf muss durch eine Kombination von Überkapazität und Speicher ausgeglichen werden. Die benötigten Speicherkapazitäten für den Ausgleich des Tagesverlaufs sind gross. Wollen wir mit Sommerstrom im Winter heizen, dann brauchen wir noch viel grössere Speicher.
  • Die fehlgeleiteten Öko-Subventionen und die Abnahmeverpflichtung für Solarstrom führen zu einer Preisverzerrung im Strommarkt. Das so entstandene Preisgefüge verlängert die Abschreibedauer von Speicherkraftwerken und hemmt damit die Investition in die dringend benötigten Speicher. Die unsicheren politischen Rahmenbedingungen machen die Sache nicht besser. Kurz: Niemand investiert heute in neue Kraftwerke oder Speicher ohne massive Subventionen.

Gemäss verschiedener Studien sind der Nachfrageelastizität enge Grenzen gesetzt. Das zeigt auch unser eingangs erwähntes Beispiel mit dem Lift. Es gibt schlicht nur wenige Anwendungen, deren Stromverbrauch sich ohne Konsequenzen über Minuten, Stunden oder gar Tage verschieben lässt. Wenn aber Strom unregelmässig produziert wird, muss der Verbrauch gesteuert oder die Energie in einem Zwischenspeicher kurzfristig gelagert werden. Damit das funktionieren kann, braucht es einen Markt, bzw. eine Handelsplattform für «verzögerten Verbrauch» oder für kurzfristige Speicher.

Da die Marktteilnehmer aller Voraussicht nach Maschinen und nicht Menschen sein werden, wären die Regeln für diesen Markt zu programmieren und im kleinen, mittleren und grossen Netz auf Stabilität zu prüfen. Aus meiner Sicht ist das eine Aufgabe für eine ganze Generation von Ingenieuren, die sich nicht in zehn Jahren bewältigen lässt.

Oder heisst die Lösung Sparen, wie es die Energiestrategie 2050 flächendeckend und für jeden von uns vorsieht? Der Energieverbrauch pro Kopf oder BIP ist ein Mass für die Entwicklung einer Gesellschaft: Wenig entwickelte Länder und Regionen haben einen geringeren Energieverbrauch. Vor diesem Hintergrund sei die Frage erlaubt: Wirft uns die Energiestrategie 2050 zurück ins 19. Jahrhundert?