Digital Nudging – Werden wir zu Marionetten der Digitalisierung?

Digital Nudging – Werden wir zu Marionetten der Digitalisierung?

September 2018

Sophie Eisl

, B.A. HSG Business Administration

«Digital Nudging beeinflusst unsere (Kauf-)Entscheidungen, ohne dass wir es merken.»

Mit Internet und Google haben wir Zugriff auf Millionen von Webseiten. Die schnelle und einfache Verfügbarkeit von Information macht das Leben leichter, das Business schneller und bringt unseren Kopf zum Rauchen. Wo früher die Informationsbeschaffung im Zentrum stand, sind wir heute mit dem Filtern der Informationsflut gefordert. Das macht uns manipulierbar. Digital Nudging profitiert von dieser Situation.

Zum ersten Mal hat man den Begriff des Nudging im Zusammenhang mit dem Wahlkampf von Barack Obama im Jahr 2012 in den Medien gelesen. Durch einfache Befragungen der Bürger hat das Kampagnenbüro von Obama evaluiert, welche Themen Obama unbeliebt machen und sich dann auf die beliebten Themen fokussiert.

Nudges sind sanfte Stupser, die das Verhalten von Menschen sowohl offline als auch online beeinflussen sollen. Diese Stupser geschehen, ohne einen Zwang auszuüben oder Befehle und Verbote auszusprechen. Gute Nudges sind so entworfen, dass die volle Entscheidungsfreiheit gewahrt bleibt und sie vom Konsumenten ohne grossen Aufwand umgangen werden können. Nudges funktionieren, weil Menschen tagtäglich irrationale und systematische Fehler in ihren Entscheidungen machen. Nachstehend ein Beispiel zur Illustration.

Entscheiden Sie sich intuitiv für eine Antwort:
Ein Schläger und ein Ball kosten zusammen CHF 1.10. Wenn der Schläger einen Franken mehr kostet als der Ball, wie viel kostet dann der Ball? (1)

Diese einfache Rechnung wird von den meisten Befragten falsch beantwortet. Warum? Weil die Befragten nach dem falschen mentalen System entschieden haben. Bei Entscheidungen wählen wir nämlich unbewusst zwischen zwei mentalen Systemen. Zum einem entscheiden wir im Alltag intuitiv und impulsiv ohne gross nachzudenken, was – wie im obigen Beispiel – zu Fehlern führen kann, zum anderen denken und handeln wir bei komplexen Entscheidungen rational und langsam. Das erste Phänomen der intuitiven und impulsiven Alltagsentscheidungen macht sich Nudging zunutze. So vertraut zum Beispiel die Werbung (offline und online) darauf, dass Menschen von emotionalen und sozialen Präferenzen getrieben sind und unsere Entschlussfreudigkeit und die zur Verfügung stehende Zeit einen grossen Effekt auf unsere täglichen Entscheidungen haben.

Digital Nudging ist die Beeinflussung der Nutzer im digitalen Kontext. Durch die Veränderung von User-Interface-Elementen soll der Nutzer im digitalen Entscheidungsumfeld in die gewünschte Richtung geleitet werden. Schon durch das Hinzufügen einer ablaufenden Sanduhr im Rahmen eines digitalen Kaufprozesses wird der Konsument dazu verleitet, den Kauf schnellstmöglich abzuschliessen und auf keinen Fall den Prozess abzubrechen, denn die Angst ist zu gross, dass der vermeintlich gute Deal nicht mehr angeboten werden könnte. Dies machen sich verschiedene Online-Anbieter, aber auch Politiker zunutze.

Digital Nudging im Alltag
Der wohl alltäglichste Digital Nudge ist der kleine rote Kreis mit weisser Nummer, der erscheint, sobald eine neue Nachricht auf dem Smartphone eingeht oder ein Update für eine App bereitsteht. Der kleine rote Punkt, in der rechten oberen Ecke des Icons, verleitet intuitiv zum Öffnen der App. Ohne darüber nachzudenken, ob man die Informationen überhaupt abrufen möchte klickt man darauf. Einfach so und ohne nachzudenken. Wir alle kennen das.

Ein möglicherweise weniger bekannter Digital Nudge ist hingegen die sogenannte Default-Einstellung, die auf unzähligen Internetseiten eingesetzt wird. Dies bedeutet, dass bei Produktkäufen oder Abonnementabschlüssen gewisse Optionen vordefiniert sind. Beispielsweise ist die Option, einen Newsletter zu erhalten, meist standardmässig aktiviert. Nur, wenn der Konsument dieses Kästchen bewusst deaktiviert, erhält er keinen Newsletter. Dieser klassische Digital Nudge wird von Konsumenten meist erst nach dem Kaufabschluss erkannt und als störend und manipulativ wahrgenommen. Unternehmen hingegen versprechen sich davon, auf einfachste Weise mit ihren Kunden in Kontakt zu bleiben und sie per E-Mail zu weiteren Käufen zu motivieren.

Auch Online-Hotelbuchungssysteme wie Booking.com beherrschen Digital Nudging in all seinen Facetten. Meldungen in roter Schrift «Sehr gefragt! In den letzten 24 Stunden 158-mal gebucht» und Aufrufe wie «Heutiges Schnäppchen» versuchen, den Nutzer zum sofortigen Kauf zu verleiten. Es wird ein Gefühl der Eile vermittelt. Zudem signalisieren rot durchgestrichene Preise und Prozentzeichen «besonders günstige Angebote».

Fazit
Digital Nudging beeinflusst unsere (Kauf-)Entscheidungen, ohne dass wir es merken. Nudging kann nicht nur für Unternehmen und Politiker Vorteile bringen, es kann auch uns Konsumenten helfen, uns in der täglichen Informationsflut zurechtzufinden. Vor allem, wenn wir uns bewusst sind, wie wir von verschiedenen Seiten «gestupst» werden, können wir achtsamer entscheiden. Für uns ist es somit von enormer Wichtigkeit, sich des möglichen Missbrauchs bewusst zu sein und im digitalen Raum aufmerksam zu handeln.

Achten Sie also bei Ihrem nächsten Online-Kauf oder Besuch einer Online-Plattform bewusst auf Elemente, die Ihre Entscheidungen beeinflussen könnten. Sie werden schnell merken, dass Sie mit Nudging-Versuchen überflutet werden.

Und wer weiss: Vielleicht können Sie durch das neue Bewusstsein Nudges sogar für sich selber gewinnbringend nutzen?

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(1) Lösung: 5 Rappen (intuitive Antwort: 10 Rappen)