Macht in Organisationen

Macht in Organisationen

Mai 2019

Anela Fivaz

, B.A. Politik-, Verwaltungswissenschaften und Soziologie / Exec. MBA

«Führungspersonen haben ohne Zweifel Macht. Sie können ihre Mitarbeitenden sanktionieren, beurteilen und deren Entwicklung fördern oder behindern. Gleichwohl braucht es Schranken, damit Macht nicht missbraucht wird.»

«Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht», wird der ehemalige US-Präsident Abraham Lincoln zitiert. Menschen mit Macht zeigen also ihr wahres Gesicht. Aber muss das per se etwas Schlechtes sein?

Macht verbinden wir mit Herrschaft, Stärke und Einfluss, aber auch mit Machtmissbrauch, Machtwahn oder einem unguten Gefühl von Machtlosigkeit und Ohnmacht. Macht ist jedoch ein wichtiger positiver Faktor, um unser gesellschaftliches Miteinander zu regeln. Wir bevollmächtigen jemanden, der unsere Interessen vertreten soll und auch eine Organisation, die keinerlei hierarchische Strukturen aufweist, ist zweifellos nicht vorstellbar. So sind klare Über- und Unterstellungsverhältnisse, die Regelung von mehr oder weniger Kompetenzen und Verantwortung die Basis für einen geordneten Betrieb. Führungspersonen haben ohne Zweifel Macht. Sie können ihre Mitarbeitenden sanktionieren, beurteilen und deren Entwicklung fördern oder behindern. Gleichwohl braucht es Schranken, damit Macht nicht missbraucht wird. Diese Schranken können institutioneller Art (z.B. Gewaltenteilung) oder aber soziokultureller Art sein (Werte, Moral, Normen, Kultur).

Im Rahmen unserer Beratungstätigkeit stossen wir auf Organisationen, deren Machtverhältnisse im Ungleichgewicht sind. Indikatoren hierfür sind beispielsweise, dass um Mitarbeitende «herum» organisiert wird, Interessen einzelner Mitarbeitender stark im Vordergrund stehen oder die Führungsperson trotz vieler Versuche keine Änderungen oder Innovationen durchsetzen kann. Wie kann das sein? Verfügt die Führungsperson doch allein aufgrund ihrer Stellung über eine hierarchisch gestützte Macht.

Zu einer Asymmetrie der Kräfteverhältnisse kommt es dann, wenn sich unabhängig von der formalen Organisation in der Interaktion der Organisationsmitglieder informelle Machtstrukturen herausbilden, die das Geschehen in mindestens ebenso starkem Masse beeinflussen wie die formale Hierarchie.

Die Wissenschaftler Crozier und Friedberg haben dieses Phänomen untersucht und erkannt, dass es in Organisationen vier wichtige Ressourcen gibt, die den Organisationsmitgliedern Macht verleihen. Diese Macht ist zum Teil noch bedeutender als die formal-hierarchische.

Machtressource: Expertenwissen

Erläuterung: Hier ist der Besitz einer nur schwer ersetzbaren funktionalen Fähigkeit gemeint, die für die Organisation von entscheidender Bedeutung ist. Dank diesem «Monopol» lassen sich Vorteile und Privilegien aushandeln.

Machtressource: Nutzung der Umweltkontakte/Netzwerke 

Erläuterung: Umweltkontakte und Netzwerke sind Beziehungsgeflechte zu Verbündeten und Gleichgesinnten. Sie ermöglichen die Bildung von Allianzen und bevorteilen Mitglieder eines solchen Netzwerks.

Machtressource: Kontrolle über Kommunikations- und Informationskanäle

Erläuterung: Die Weitergabe oder Zurückhaltung wichtiger Informationen ist eine sehr bedeutende Machtressource. Auch die Streuung falscher Informationen zählt hier dazu.

Machtressource: Benutzung organisatorischer Regeln

Erläuterung: Organisatorische Regeln reduzieren den Freiraum von Untergebenen. Gleichzeitig bieten sie Untergebenen aber auch Schutz vor der Willkür des Vorgesetzten. Dieser Schutz kann von Mitarbeitenden zu ihren Vorteilen ausgenutzt werden.

Beispiele aus der Praxis

Machtressource Expertenwissen: Ein Mitarbeitender missachtet ständig die Regeln und verbreitet schlechte Stimmung. Er hat jedoch über Jahre hinweg eine eigene, individuelle Softwarelösung entwickelt, die für das Unternehmen von grosser Bedeutung ist. Sein Vorgesetzter sanktioniert ihn nicht, weil er dessen Kündigung und den Wissensverlust fürchtet.

Machtressource Umweltkontakte/Netzwerke: Eine Mitarbeitende der Verwaltung erbringt nicht die gewünschte Leistung. Es wird darüber hinweggesehen, da sie Mitglied eines politischen Gremiums ist und dort grosses Gewicht hat.

Machtressource Kontrolle über Informations- und Kommunikationskanäle: Die Chefsekretärin wird von allen Abteilungsleitern besonders bevorzugt behandelt. Sie hat die Befugnis, den Kalender des Geschäftsführers zu verwalten und entscheidet, wer wie schnell einen Termin erhält.

Machtressource Benutzung organisatorischer Regeln: Ein wichtiger Auftrag kann nicht bearbeitet werden. Der Grund: Der zuständige Mitarbeiter ist nicht gewillt, Überstunden zu leisten und verweist auf die Regelung in seinem Arbeitsvertrag. Eine andere Mitarbeiterin will die Aufgabe nicht übernehmen und verweist auf ihre Stellenbeschreibung.

Machtressourcen können somit auch als Trümpfe bezeichnet werden. Verfügen Mitarbeitende über einen oder mehrere Trümpfe, können sie die Spielregeln in der Organisation zu ihren Gunsten verändern und sich damit gewünschte Freiräume schaffen. Doch: Was kann eine Führungsperson tun, damit das Kräfteverhältnis wieder ausbalanciert ist?

Wer nun ein Patentrezept, ein passendes Instrument oder eine Methodik erwartet, wird an dieser Stelle enttäuscht. Eine Möglichkeit der Führungsperson, aktiv und zielgerichtet zu reagieren, ist, sich der Trümpfe ihrer Mitarbeitenden bewusst zu sein. Hierzu ist es erforderlich, die Mitarbeitenden mit ihrem Reifegrad, ihrer Motivation und ihrem Wertekonstrukt genau zu kennen, um entsprechende Massnahmen einleiten zu können. Massnahmen können organisatorischer Art sein: Das Expertenwissen wird auf mehrere Personen verteilt und die Zuständigkeiten, Kompetenzen und Verantwortung im Team weiterentwickelt. Als sehr erfolgsversprechend gilt auch das gemeinsame Entwickeln von Werten. Sind die Werte der Mitarbeitenden und der Führungsperson (oder gar des Unternehmens) konform oder zumindest kompatibel, ist eine Machtasymmetrie eher selten.

Asymmetrischen Machstrukturen kann also begegnet werden. Konkret heisst das: Bereits bei der Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden muss auf deren Wertekonstrukt geachtet werden. Zudem empfiehlt es sich, die Werte gemeinsam zu entwickeln und jedes Handeln nach innen und aussen daran auszurichten. Unabhängig davon empfiehlt es sich jedoch immer, die Organisation im Hinblick auf Aufgaben, Zuständigkeiten und Kompetenzen weiterzuentwickeln.

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