Arbeit – eine alltägliche Verpflichtung?

Arbeit – eine alltägliche Verpflichtung?

März 2025

Felix Lämmler

, Dipl. El. Ing. FH / EMBA

Arbeit, dieser besondere Lebensbereich, wo sich Leistung, Kreativität und soziale Interaktion vereinen, bleibt ein ebenso unverzichtbarer wie widersprüchlicher Bestandteil unserer Existenz. Für viele ist Arbeit ein Spiegel der Identität und ein Portal zu Selbstverwirklichung und gesellschaftlicher Anerkennung. Sie kann Freude stiften, doch ihre Herausforderungen sind nicht weniger real. Bereits die historischen und religiösen Narrative zur Arbeit illustrieren die Ambivalenz dieses Konzepts: Arbeit kann sowohl als Strafe empfunden werden («im Schweisse deines Angesichts») als auch als tugendhafte Pflicht. Die Bibel schätzt Arbeit als notwendiges Gut, während sich die römische Elite der Tätigkeit entledigte und andere für sich arbeiten liess.

Interessanterweise erhielt Arbeit in der Moderne eine neue Bedeutung: nicht länger nur als blosses Mittel zum Lebensunterhalt, sondern als Weg zu Erfüllung und Selbsterkenntnis. Wo das 20. Jahrhundert noch die Mechanisierung der Arbeitskraft vorantrieb, fordert der heutige Zeitgeist «Sinn» und «Erfüllung» – paradoxerweise oft gerade dort, wo algorithmische Prozesse und Automatisierung menschliche Interaktion zunehmend hinfällig machen. Arbeit ist heute nicht nur eine Frage der Ökonomie, sondern auch der Existenz und spricht zunehmend das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Authentizität an.

 

Arbeit und Identität: Zwischen Selbstentfaltung und Selbstverrat

Durch Arbeit erfahren wir uns selbst, lernen die Kraft unserer Fähigkeiten, aber auch die Grenzen unserer physischen und geistigen Belastbarkeit kennen. Arbeit hat Einfluss auf unsere soziale Position und verortet uns in der Welt, die durch ihren stetigen Wandel eine Reflexion unseres eigenen Wandels ist. In der Arbeit begegnen wir uns selbst und der Gesellschaft. Gelungene Arbeitserfahrungen, die auf Anerkennung und Wertschätzung treffen, machen Arbeit zur Quelle der Resonanzerfahrung, einem Zustand, in dem uns das Gefühl der Sinnhaftigkeit und das Erleben von Selbstwirksamkeit erfüllt.

 

Doch die Kehrseite dieser Medaille ist nicht zu übersehen. Prekäre Arbeitsverhältnisse, die Forderung nach grenzenloser Flexibilität und ständiger Verfügbarkeit verlangen oft mehr, als der Einzelne leisten kann, und entwerten gleichzeitig das individuelle Engagement. Menschen, die in prekären Verhältnissen arbeiten oder keine Arbeit finden, geraten in eine Spirale von sozialem Ausschluss und sinkender Lebensqualität. Ironischerweise bestätigt dies den Gedanken, dass Arbeit zum Menschsein gehört – doch lässt uns das Nachdenken über diese Bedingungen fragen: Ist das die Art von Menschsein, die wir uns wünschen?

 

Die Notwendigkeit der Arbeit: ein philosophisches Paradoxon

Die meisten grossen Denker waren sich einig, dass Arbeit ein notwendiger Bestandteil des menschlichen Lebens ist. Kant sprach von der Arbeit als sittliche Pflicht, während Karl Marx die Weltgeschichte als eine Geschichte der Arbeit beschrieb. Der Mensch wird durch Arbeit – sie ist ein konstitutiver Teil seines Daseins, der ihn zugleich gesund und krank machen kann. Wir erkennen in dieser Ambivalenz die ewige Spannung: Arbeit als Schöpfung und Selbstzerstörung zugleich.

 

In der heutigen Zeit verschärfen sich diese Gegensätze. Die Digitalisierung hat die Arbeitswelt verändert und beschleunigt. Die globale Vernetzung fordert Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, doch zugleich wächst das Bedürfnis nach Stabilität und Sinnhaftigkeit. Unternehmen, die das Potenzial der Arbeit ausschöpfen möchten, stehen heute vor der Herausforderung, diese widersprüchlichen Kräfte zu lenken. Erkennbar wird dies durch mehrere Schlüsselfaktoren:

  • Anerkennung – mehr als bloss eine finanzielle Entschädigung; sie fordert Respekt und Dankbarkeit von Vorgesetzten und Kollegen.

 

  • Autonomie – ein gewisses Mass an Entscheidungsfreiheit und Selbstgestaltung, das erlaubt, in der eigenen Weise zu arbeiten und so produktiver zu sein.

 

  • Work-Life-Balance – der nie endende Balanceakt zwischen beruflichen Anforderungen und persönlichen Bedürfnissen, der das individuelle Wohlbefinden sichert.

 

  • Gerechtigkeit und Wertschätzung – die oft geforderte und doch seltene Gleichbehandlung und Fairness am Arbeitsplatz.

 

  • Moralische Werte – das Unternehmen und die Art der Arbeit sollten mit den eigenen Überzeugungen übereinstimmen; hier ist Authentizität gefragt.

 

 

Arbeit als Weg zum Glück – oder zur Entfremdung?

Arbeit ist vielleicht tatsächlich eine Quelle der Freude und der Selbstverwirklichung, aber nur dann, wenn sie nicht zur Entwürdigung führt, sondern schöpferische Lust weckt. In Unternehmen, in denen Arbeit zum Mittel der Kontrolle und Unterdrückung verkommt, und wo Mikromanagement jegliche Kreativität im Keim erstickt, stellt sich die Frage nach dem Sinn der Arbeit. Der Mathematiker und Philosoph Bertrand Russells empfahl im «Lob des Müssiggangs» ein «neues Denken»: Nicht in der Untätigkeit, sondern in der intelligenten Reduktion, in der Fähigkeit, auch einmal nichts zu tun, sich selbst zu finden. Müssiggang ist seines Erachtens keine Faulheit, sondern eine Kunst des bewussten Nichtstuns.

 

Vielleicht ist das eigentliche Geheimnis der Arbeit, dass sie uns erlaubt, nicht nur etwas zu tun, sondern uns in der Welt zu verorten und unsere Existenz zu reflektieren. Die Frage bleibt: Wie wollen wir arbeiten? Und wie viel Müssiggang können wir uns leisten, um zu erkennen, dass wahre Arbeit mehr als nur ein Mittel zum Zweck ist?