Der Aufstieg in eine Kaderfunktion galt lange Zeit als grosses Ziel vieler Beschäftigter. Wer sich fachlich gut auskannte, zuverlässig seine Aufgaben ausführte und sich stetig weiterbildete, hatte gute Chancen, in eine solche Funktion aufzusteigen. Die Übernahme einer Kaderfunktion war nicht nur monetär gesehen eine Verbesserung, sondern bedeutete darüber hinaus auch einen Statusaufstieg und den Genuss weiterer Privilegien im Unternehmen.
So erstaunt es sehr, dass Verwaltungen und Unternehmen zunehmend Schwierigkeiten haben, Kaderstellen adäquat oder überhaupt zu besetzen.
Warum ist das so? Und was bedeutet das für Unternehmen und Organisationen?
Zahlreiche Studien zeigen: Führungsverantwortung wird heute eher als notwendiges Übel, denn als Karriereziel wahrgenommen. Laut einer grossangelegten Befragung der Boston Consulting Group aus dem Jahr 2020 strebt nur jeder zehnte Arbeitnehmende Führungsverantwortung an und von allen befragten Personen, die bereits eine Kaderposition verantworten, wollen nur 40 % weiterhin in einer leitenden Funktion tätig sein. Aktuelle Befragungen und Studien verstärken die Ergebnisse der BCG aus dem Jahr 2020.
Die massgebenden Gründe hierfür werden auf drei Faktoren zurückgeführt:
- Aufwand für Führungsarbeit
- Statusinflation
- Die klassische Führungsrolle wird zunehmend überflüssig.
Führungsarbeit als Königsdisziplin
Die Führungsarbeit ist anspruchsvoller und komplexer geworden. Einerseits hat sich in den letzten Jahren aufgrund der gestiegenen Kompetenz der Mitarbeitenden und des gesellschaftlichen Wandels im Allgemeinen ein komplexeres Erwartungsprofil an Führungskräfte entwickelt: Wo früher stark hierarchische Strukturen und eher autoritäre Führungsprinzipien herrschten, haben Kooperation, Partizipation und Konsensorientierung Platz genommen. Andererseits hat sich aber auch der Aufgabenfokus von Führungspersonen verändert: Während sich Führungsaufgaben bisher auf Aufgabenverteilung und Kontrolle bezogen, beinhalten sie nun vermehrt strategisch-steuernde Aufgaben und von den Führungspersonen werden erweiterte Fähigkeiten und Fertigkeiten in den Bereichen Sozialkompetenz und Konfliktfähigkeit gefordert. Zudem muss die Führungsperson neben den Fachaufgaben auch Aufgaben als Coach, Sparringpartner und Berater oder Beraterin wahrnehmen.
Statusinflation
Die inflationäre Entwicklung – also die Abwertung des Status – erfolgt aus zwei Richtungen. Zum einen ist potenziellen und bestehenden Nachwuchsführungskräften der Status immer weniger wichtig. Zum anderen gibt es in Organisationen vielseitige Managementaufgaben, die ohne personelle Führung einhergehen, zum Beispiel Fachverantwortliche oder Fachexperten für spezifische Aufgaben. Die Übernahme von Fachführungsaufgaben ist attraktiv, weil sich daraus Status und Gestaltungsmöglichkeiten ergeben, die Nachteile resp. der Aufwand für personelle Führung jedoch entfallen. Während es früher klassisch nur einen «Chef» gab, gibt es heute verschiedenste Unterkategorien mit Fach- und Führungsaufgaben – oder anders ausgedrückt: viele Häuptlinge und wenig Indianer.
Klassische Strukturen weichen agilen Organisationsformen
Die strukturellen Transformationen in Unternehmen ersetzen die klassisch hierarchisch geprägten Aufbauorganisationen. Agile und innovative Organisationsformen setzen auf verstärkte Selbstverantwortung und geteilte Führung. Der Wert einer Führungsperson nimmt damit tendenziell ab. Zumindest solange es keine Probleme gibt. Im Zweifelsfall ist dann doch eine Stelle verantwortlich: Die Führungsperson.
Bezug zur Praxis
Im Rahmen unser Beratertätigkeit erhalten wir Einblick in verschiedene Organisationen der Verwaltung und Privatwirtschaft. Aus unserer Sicht greifen die Ergebnisse der Analyse zu kurz. Natürlich ist Führungsarbeit komplex und anspruchsvoll. Und vielleicht ist der Status nicht mehr so bedeutend wie früher. Aber viele Führungsnachwuchskräfte wollen die Funktion ausüben, weil sie aktiv gestalten und als gutes Vorbild vorangehen möchten. Sie scheuen nicht die Verantwortung, sondern haben vielmehr Respekt vor der Doppelbelastung, die sich aus der Führungsrolle ergibt. In Organisationen wird Führungsarbeit oftmals etwas stiefmütterlich behandelt. Im Fokus stehen Fachaufgaben; die Führungsaufgaben sollen schliesslich «nebenbei» erledigt werden.
Es spielt weniger eine Rolle, ob eine flache oder hierarchisch geprägte Struktur vorherrscht, es spielt auch weniger eine Rolle, welcher Generation die Führungsperson angehört und wie viel Praxiserfahrung sie mitbringt. Um erfolgreich führen zu können, braucht es in erster Linie eines: Zeit.
Der Zeitbedarf ist abhängig von der Teamgrösse, der Aufgabenstellung, den Mitarbeitenden (qualitativ und quantitativ) und der Unternehmenskultur. Als Faustregel gilt jedoch, dass mind. 20 % der Stellenkapazität resp. ein Wochentag für Personalführung aufgewendet werden sollte. Je nach Themenstellung und Organisation kann der Anteil auch bedeutend höher liegen.
Verwaltungen und Unternehmen brauchen gute Führungspersonen. Es gilt somit, die Führungsstellen attraktiv auszugestalten. Hierfür sind neben klaren Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten insbesondere die dafür erforderlichen Stellenkapazitäten und Freiräume vorzusehen. Dadurch gewinnt die Führungsarbeit an Bedeutung und die Führungsrolle an Attraktivität.
Sie möchten die Führungsrolle in Ihrer Organisation optimieren? Wir unterstützen Sie gerne dabei.