Unsere westliche Leistungsgesellschaft legt grossen Wert auf Daten und Fakten – und idealisiert logisches Denken und systematische Vorgehensweisen. Entscheidungen sollen rational getroffen und sorgfältig abgewogen werden. Albert Einstein brachte es auf den Punkt: «Der intuitive Geist ist ein Geschenk und der rationale Geist ein treuer Diener. Wir haben eine Gesellschaft erschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat.»
Intuition wird oft als spontane, unbewusste Entscheidungsfindung beschrieben, ein «Bauchgefühl», das insbesondere bei unvollständigen Informationen oder zeitkritischen Entscheidungen eine Rolle spielt. Intuition wird leicht als Mystik oder Selbsttäuschung abgetan, oft mit Willkür gleichgesetzt. Doch dies ist ein Missverständnis: Intuition basiert auf unbewusster Intelligenz, die tiefes Verständnis, Erfahrung und Mustererkennung integriert. Sie entsteht durch das schnelle Erfassen von Zusammenhängen und das Abrufen von Informationen, die in der Vergangenheit unbewusst gespeichert wurden. Psychologen sprechen hier von «implizitem Wissen», auf das wir zugreifen können, ohne uns dieses Wissens bewusst zu sein.
Trotzdem wird Intuition oft als Gegensatz zur rationalen Entscheidungsfindung angesehen. Es gibt jedoch zahlreiche Beispiele für erfolgreiche intuitive Entscheidungen. Steve Jobs etwa legte bei der Auswahl neuer Talente grossen Wert auf Intuition und achtete neben dem Lebenslauf auf eine besondere Energie, die zur Innovationskultur von Apple passte. Howard Schultz von Starbucks betonte ebenfalls die Bedeutung von emotionaler Intelligenz in der Führung und stützte sich bei der Auswahl von Mitarbeitenden auf seine intuitive Menschenkenntnis.
Die Balance zwischen Intuition und Analyse in der Personalauswahl
Auch wenn Intuition wertvoll sein kann, birgt sie Risiken: Rein intuitive Entscheidungen sind anfällig für kognitive Verzerrungen wie den «Bestätigungsfehler», also die Tendenz, Informationen zu suchen, die eigene Annahmen bestätigen, oder den «Wiedererkennungsfehler», das heisst, die Vorliebe für Bekanntes. Forschung zur «adaptiven Expertise» zeigt, dass Intuition besonders wertvoll ist, wenn sie auf tiefgehender Erfahrung beruht. Unerfahrene Personalverantwortliche können hingegen durch Intuition in die Irre geführt werden.
Auf der anderen Seite erlaubt Intuition das Erkennen subtiler Signale, wie etwa emotionale Intelligenz oder Teamfähigkeit. Eine erfahrene Personalverantwortliche könnte intuitiv bemerken, dass ein Bewerber trotz hervorragender Qualifikationen nicht ins Team passt.
Letztlich ist es entscheidend, eine ausgewogene Mischung zu finden. Analytische Methoden sollten die Grundlage einer fundierten Entscheidung bilden, während Intuition als Ergänzung dient. Folgende Ansätze sind dabei sinnvoll:
- Analytische Instrumente: Klare Anforderungsprofile, standardisierte Bewertungsbogen und strukturierte Interviews sollten stets die Basis einer Entscheidung bilden.
- Intuition als Ergänzung: Intuition kann helfen, die Analysen zu ergänzen, z.B. bei der Einschätzung der kulturellen Passung eines Kandidaten oder einer Kandidatin.
Intuition entwickeln und schärfen
Wie jede Fähigkeit kann auch Intuition durch Erfahrung und Übung verbessert werden. Hier einige Ansätze, wie Personalverantwortliche ihre Intuition schärfen können:
- Erfahrung: Je mehr Auswahlprozesse Personalverantwortliche durchlaufen, desto besser erkennen sie Muster und schärfen ihre intuitive Urteilsfähigkeit.
- Reflexion: Eine regelmässige Reflexion früherer Entscheidungen, erfolgreiche und weniger erfolgreiche, hilft, Muster zu erkennen und die Intuition zu verbessern.
- Achtsamkeit und Präsenz: Techniken wie Achtsamkeit fördern das Erkennen von nonverbalen Signalen und subtilen Botschaften während eines Gesprächs.
Fazit
Intuition spielt eine wichtige Rolle in der Personalauswahl, sie sollte jedoch immer in Kombination mit strukturierten, analytischen Methoden zum Einsatz kommen. Eine ausgewogene Herangehensweise, bei der Intuition als ergänzendes Werkzeug genutzt wird, ermöglicht fundierte Entscheidungen. Personalverantwortliche, die ihre Intuition durch Erfahrung und emotionale Intelligenz stärken, sind oft erfolgreicher darin, Kandidaten zu erkennen, die sowohl fachlich als auch persönlich gut ins Unternehmen passen.