Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit als zentrale Vertragselemente
Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit sowie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung sollen einen Vertrag prägen. Die Vertragsparteien wollen den Vertragsinhalt und insbesondere ihre Rechte und Pflichten beim Vertragsabschluss verbindlich regeln und sich gegen mögliche Risiken absichern. Der Umgang mit Agilität verlangt von allen Beteiligten Flexibilität und den Mut, von traditionellen Bahnen abzuweichen und sich auf neue Pfade zu begeben. Als Beispiel für ein agiles Vertragsverhältnis dient der Projektvertrag im IT-Bereich. Dieser Vertragstyp, der im Obligationenrecht nicht ausdrücklich geregelt wird, ist dem Werkvertrag zuzuordnen.
Gegenstand des Vertrags
Beim Werkvertrag gemäss Obligationenrecht bestimmen die Parteien beim Vertragsabschluss einen Vertragsgegenstand als Werkleistung mit einzelnen Spezifikationen. Häufig enthält ein solcher Vertrag bereits agile Elemente wie zum Beispiel: Bestimmungen über die schrittweise Entwicklung des Vertragsgegenstandes, Zwischenabnahmen der Arbeitsergebnisse, Anpassungen an den Vertragsinhalt oder Änderungen der Leistungen und des Zeitplanes.
Beim agilen Projektvertrag wird die Werkleistung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht abschliessend festgelegt. Das Ergebnis dieser Leistungen soll im Rahmen von iterativen Prozessen entwickelt und laufend verbessert werden. Die Parteien beschreiben einzelne Teilleistungen, die Schritt für Schritt zu erfüllen sind und abgenommen werden müssen. Der Abnahmeprozess muss für die Parteien praktikabel und mit einem technisch vernünftigen und wirtschaftlich vertretbaren Aufwand ausgestaltet werden. Als Vorgehensmöglichkeiten, die sich inhaltlich in der Umschreibung der Werkleistungen unterscheiden, bieten sich beispielsweise an:
Fixe Teilziele mit flexiblem Rahmen
Die fixen Teilziele werden gemäss den Anforderungen an den Werkgegenstand bestimmt und inhaltlich, zeitlich sowie mit einem Kostenrahmen festgelegt. Die Vertragsparteien nehmen diese Teilziele gestützt auf die vereinbarten Regeln ab und bestimmen danach das weitere Vorgehen. Der generelle Vertragsrahmen mit den einzelnen Teilzielen wird jedoch flexibel gestaltet. Offen bleiben demzufolge: die Anzahl der Teilleistungen, der zeitliche Ablauf und der gesamte Kostenrahmen für das Projekt. Das Vertragsverhältnis kann jederzeit beendet werden, insbesondere wenn ein Teilziel nicht erreicht wird. Dieser Ansatz wird vermehrt in IT-Projekten mit agiler Vertragsgestaltung angewendet.
Lösung mit Prototyp und agile Weiterentwicklung
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass die Parteien einen selbständig funktionierenden Prototyp des angestrebten Werkes festlegen. Dieser stellt aber nicht das von den Parteien angestrebte Werkergebnis dar. Da das Produkt oder die Werkleistungen noch nicht vollständig ausgearbeitet sind, lassen sich Korrekturen und Optimierungen leichter und kostengünstiger umsetzen. Zusätzlich zum Prototyp definieren die Parteien die verschiedenen Weiterentwicklungen und Zusatzfunktionen, die agil zu erarbeiten sind und in einem direkten Zusammenhang mit dem Prototyp stehen. Dieser Ansatz ist eher in Werkvertragsverhältnissen im Produktionsbereich anzutreffen.
Aufgaben und Zuständigkeiten der Schlüsselpersonen im Projekt
Die Parteien regeln im Vertrag die Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten von Schlüsselpersonen und legen ihren Gestaltungs- und Verhandlungsspielraum verbindlich fest. Die Schlüsselpersonen dürfen im Verlaufe des Projekts nur in Ausnahmefällen ausgewechselt werden, weil diese Personen wesentlich zum Erfolg eines agil gestalteten Projekts beitragen.
Vergütungsmodell
In agilen Projektverträgen können Vergütungsmodelle eingesetzt werden, die von der herkömmlichen Regelung mit einem Fixpreis oder einem Kostendach abweichen und die Kostenrisiken ausgewogener auf beide Parteien verteilen. Wird nämlich ein fester Preis vereinbart, trägt der Unternehmer grundsätzlich das Kostenrisiko, wenn der vereinbarte Preis die zur Vertragserfüllung notwendigen Werkleistungen nicht abdeckt. Beim agilen Ansatz werden die vereinbarten Teilleistungen gemäss dem Stand der Projektentwicklung vergütet. Dieses Vorgehen beinhaltet für den Besteller Risiken. Er muss allenfalls Leistungen bezahlen, die sich bei einem vorzeitigen Projektabbruch nicht nutzen oder verwerten lassen.
Die Gesamtkosten eines agil abgewickelten Projekts erreichen oftmals einen Betrag, der im Voraus nicht abschliessend bestimmbar ist. Diese Unsicherheit bedeutet ein Risiko für den Besteller, der allenfalls die Budgetvorgaben nicht einhalten kann. Die Parteien sind daher gut beraten, die einzelnen Teilleistungen mit finanziellen Reserven zu planen und Entwicklungsschritte mit unvorhersehbaren Kostenfolgen zu vermeiden. Mit einer realistischen Planung und insbesondere einem effizienten Controlling lassen sich unvorhergesehene Kostenüberschreitungen vermeiden.
Vertragsbeendigung
Der Besteller kann den Werkvertrag nach Obligationenrecht nach jeder Teilabnahme beenden. Im agilen Projektvertrag kann dieses Recht ebenfalls dem Unternehmer eingeräumt werden. Eine Vertragsbeendigung muss nicht zwingend aufgrund einer mangelhaften Leistung oder wegen zeitlichen Verzögerungen erfolgen. Wenn es sich im Verlaufe der Projektentwicklung zeigt, dass die technischen Anforderungen oder der Zeitplan nicht gemäss den vereinbarten Bedingungen zu erfüllen sind, dann soll das Projekt oder Teilprojekt vor seinem Abschluss von beiden Parteien einvernehmlich beendet werden können. Langwierige Streitigkeiten, verbunden mit Klagen wegen Vertragsverletzungen, lassen sich somit grundsätzlich vermeiden.
Fazit
-
- Ein agiler Projektvertrag ist kein Wundermittel gegen eine ungenügende Projekt- und Zeitplanung oder eine unzweckmässige Projektorganisation.
- Ein agiles Vorgehen entbindet die Parteien nicht von einem straffen Projekt- und Kostencontrolling.
- Die Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Schlüsselpersonen und die Mitwirkungspflichten der Vertragsparteien sind vertraglich zu regeln.
- Beide Parteien müssen über die notwendigen personellen Ressourcen mit den erforderlichen fachlichen Kapazitäten verfügen und diese gemäss der vereinbarten Planung einsetzen.
- Supportleistungen, Dokumentations-, Rapportierungs- und Mitteilungspflichten sowie die Mitwirkung in den einzelnen Projektgremien sind in der Projektorganisation festzuhalten. Die Projektorganisation muss Bestandteil des Vertrages sein.
Die Ausarbeitung und Umsetzung eines agilen Projektvertrags erfordern neben umfassenden methodischen Kenntnissen des Projektmanagements und Erfahrung in diesem Bereich insbesondere ein hohes Verständnis für die technischen, rechtlichen und organisatorischen Belange. Zentrale Grundlage für eine erfolgreiche Abwicklung und Umsetzung bildet jedoch ein von gegenseitigem Vertrauen geprägtes Vertragsverhältnis zwischen den Parteien. Der agile Vertragsansatz stellt kein Wundermittel für eine erfolgreiche Realisierung und Umsetzung von IT-Projekten dar, er kann jedoch einen Beitrag zum Gelingen solcher Projekte leisten.