Im Jahr 2019 wurde die neue und revidierte interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) verabschiedet. Seither ist diese gesetzliche Grundlage in einem Grossteil der Schweizer Kantone in Kraft; in den übrigen Kantonen läuft das Beitrittsverfahren. Mit der IVöB 2019 wurden die Schwellenwerte leicht angepasst. Im Bereich der Dienstleistungen wurde die Untergrenze von CHF 100’000 auf CHF 150’000 erhöht. Das heisst: Bis zu einem Betrag von CHF 150’000 darf die Institution neu freihändig beschaffen. Für Ausschreibungen über CHF 150’000 gilt, abhängig vom erwarteten Beschaffungswert, das Einladungsverfahren, das offene resp. selektive Verfahren (unter CHF 250’000) oder das offene Verfahren im Staatsvertragsbereich (ab CHF 350’000). Zusammengefasst: Ab einem erwarteten Auftragswert von CHF 150’000 ist ein beschwerdefähiges Verfahren durchzuführen. In vorliegendem Bericht beschränken sich die Ausführungen auf die Beschaffungsart «Dienstleistungen».
Bei Beschaffungen von IT-Systemen zeigt sich: Die Anzahl der Beschwerden steigt. Potenzielle Anbietende haben bereits bei der Publikation einer Ausschreibung die Möglichkeit, Beschwerde gegen die Beschaffung zu erheben. Das geschieht selten bis nie. Hingegen sind sämtliche Verfügungen, die im Rahmen eines Submissionsverfahrens erlassen werden, beschwerdefähig. Dazu gehören sowohl Ausschluss- als auch Zuschlagsverfügungen. Bei beiden Verfügungen lässt sich beobachten, dass es häufig zu einer Beschwerde gegen einen Entscheid kommt.
Die Gründe für Beschwerden sind vielfältig. Dazu gehören: Intransparenz der Beschaffungsstelle, Fehler in der Verfahrensabwicklung, Bevorteilung von einzelnen Anbietenden und das subjektive Gefühl der Benachteiligung resp. das Infragestellen des obsiegenden Angebots. Die ersten drei Gründe versprechen der Beschwerdeführerin eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit, da diese von Gesetzes wegen geahndet werden können. Den letzten Beschwerdegrund möchten wir nachfolgend im Detail betrachten, da er Beschaffungsstellen vor grosse Herausforderungen stellt.
Bei öffentlichen Submissionen können die Vergabesummen schnell einmal in die Millionen gehen. Entsprechend sind Anbietende sehr an diesen Aufträgen interessiert. Wenn nun ein negativer Entscheid von der Beschaffungsstelle eintrifft, stellen sich den Anbietenden diverse Fragen: Ist die vom Zuschlagsempfänger angebotene Lösung überhaupt in der Lage, die Anforderungen zu erfüllen? Erfüllt der Zuschlagsempfänger die Teilnahmebedingungen und die Eignungskriterien? Wurde mein Angebot systematisch benachteiligt?
Diese Fragen führen zur Überlegung, ob sich eine Beschwerde für den Anbietenden lohnt. Denn mit der Beschwerde erhält die Beschwerdeführerin Akteneinsicht und kann sich ein Bild über die Evaluation machen. Hinzu kommt ein wichtiger Faktor: Eine Beschwerde ist im Verhältnis zum möglichen Auftragsvolumen mit geringen Kosten verbunden. Es fallen lediglich Kosten für die Rechtsvertretung an und, im Falle einer Niederlage, Gerichtskosten von circa CHF 5’000 bis 15’000. Deswegen sind unterlegene Anbietende oftmals geneigt, Beschwerde einzureichen.
Eine Beschwerde stoppt die Submission für einen längeren Zeitraum, da das Gericht in der Regel die aufschiebende Wirkung gewährt. Konkret bedeutet das: Das Projekt steht für drei bis sechs Monate still und es dürfen keine Verträge abgeschlossen werden. In mehreren Schriftwechseln haben sowohl die Beschwerdeführerin (Anbieterin) als auch die Beschwerdegegnerin (Beschaffungsstelle) Gelegenheit, sich zum Sachverhalt zu äussern. Das Gericht erwägt die Argumente und trifft einen Entscheid. Diese zusätzliche Schlaufe kostet Zeit, Ressourcen und Geld, die der Steuerzahler zu berappen hat. Wie lassen sich Beschwerden also im Vorhinein vermeiden?
Die wichtigsten Regeln im Submissionswesen sind: die Gleichbehandlung, die Gewährleistung des Wettbewerbs, die Transparenz und die Dokumentation. Insbesondere den Bedingungen einer Submission ist ein besonderer Fokus zu schenken. Je detaillierter die Erwartungen an die Anbietenden beschrieben sind, desto eher lassen sich die Angebote vergleichen und ein klarer Sieger identifizieren. Konkret ist die Erwartungshaltung an die einzureichenden Angebote umfassend darzulegen, dies garantiert dem Anbietenden, dass die Beschaffungsstelle Äpfel mit Äpfeln vergleicht. In der Praxis stellt das oftmals eine Herausforderung dar, da es immer Interpretationsspielraum gibt. Umso wichtiger ist die Verfahrensdokumentation. Diese hilft in zweierlei Hinsicht: Einerseits lässt sich damit ein Zuschlag umfassend begründen, andererseits – im Falle einer Beschwerde – ausführlich nachweisen, dass keine Verfahrensfehler vorliegen.
Die Gründe und Konsequenzen von Beschwerdeverfahren sind hier nun dargelegt. Des Weiteren stellt sich die Frage: Wie lässt sich die Zahl der Beschwerden nachhaltig senken? Aus unserer Sicht gibt es drei Stossrichtungen zu verfolgen:
1. Professionalisierung der Submissionspraxis, sodass Beschwerden im Vorhinein vermieden werden können.
2. Erhöhung der Schwellenwerte für öffentliche Beschaffungen, sodass weniger Verfahren überhaupt beschwerdefähig sind.
3. Erhöhung der Gerichtskosten zu Lasten der Anbietenden, deren Beschwerden offensichtlich unbegründet sind.
Die Professionalisierung der Submissionspraxis wird von den Institutionen bereits mit grossem Effort vorangetrieben. Entsprechend verzichtet der vorliegende Artikel auf eine Auseinandersetzung mit dieser Stossrichtung. Die Erhöhung der Schwellenwerte könnte dazu führen, dass IT-Systeme, die nicht mehrere Millionen Franken kosten, schnell und effizient beschafft und eingeführt werden können. Dies würde die kantonalen und kommunalen Organisationen sowie auch die Steuerzahler entlasten. Die Erhöhung der Gerichtskosten ist kontrovers zu betrachten: Grundsätzlich sollten alle Anbietenden die Möglichkeit erhalten, ihre Anliegen von Amtes wegen prüfen zu lassen. Wenn aber offensichtlich unbegründete Beschwerden dazu führen, dass die Beschaffungsstelle Ressourcen und Geld aufbringen muss, um zu beweisen, dass das Verfahren ordnungsgemäss abgewickelt wurde, sollten Auftraggebende der Beschwerdeführerin die verursachten Kosten weiterverrechnet können.