Grossprojekte in Gefahr – wie wichtig ist der Faktor Mensch?

Grossprojekte in Gefahr – wie wichtig ist der Faktor Mensch?

März 2023

Luca Rechsteiner

, M. Sc. FHO Business Administration

Sowohl bei der öffentlichen Hand als auch in der Privatwirtschaft stehen grosse Projekte an, beispielsweise ein Wechsel in die Cloud, und ihre Durchführung in zeitlicher, inhaltlicher und formeller Hinsicht ist nicht immer gewährleistet. Vermehrt zu beobachten sind Verzögerungen, Verlängerung der Projektdurchlaufzeit, nicht hinreichende Erfüllung der Projektziele, ungenügende Qualität und frustrierte Projektmitglieder. Umso wichtiger ist es, sich mit den Gründen dafür zu beschäftigen. 

Die Herausforderungen im Projektmanagement sind nicht neu. Bislang hat sich zum Steuern von Projekten das so genannte «magische Dreieck» etabliert. Es stellt die Dimensionen Zeit, Kosten und Umfang in eine Abhängigkeit und zeigt die Wechselwirkungen auf. Insbesondere bei Grossprojekten zeigt sich aber, dass diese Sichtweise zu kurz greift resp. nicht alle Dimensionen hinreichend abdeckt. Aus unserer Sicht fehlen hier die wichtigen Dimensionen «Ressourcen», «Inhalt/Projektziele» und «Formelles resp. Methodik». Insbesondere bei Grossprojekten entscheiden diese drei Faktoren letztlich über den Erfolg. 

 

Ressourcen

 

Der Faktor Ressourcen muss aus zwei Perspektiven betrachtet werden: Erstens die vorhandenen Ressourcen in der Projekt-/Stammorganisation und zweitens die Rekrutierung neuer Ressourcen am Markt.

 

Die wenigsten Organisationen verfügen heute über Mitarbeitende, die sich vollumfänglich im Projektmanagement engagieren können. Tatsächlich werden Mitarbeitende oftmals Projekten zugewiesen, ohne dafür Stellenkapazitäten vorzusehen oder den Umfang ihrer bestehenden Aufgaben zu reduzieren. Projektmitglieder stehen daher oftmals im Spannungsfeld, die Projektarbeit mit den Aufgaben des täglichen Betriebs zu vereinen. In vielen Organisationen wird der Kapazitäts-/Ressourcenbedarf für Projekte nur stiefmütterlich behandelt, weshalb den Projektmitgliedern oftmals auch belastbare Zahlen für ihre eigene Kapazitätsplanung fehlen. Eine Erhebung der Gesundheitsförderung Schweiz aus dem Jahr 2021 stellt fest, dass rund ein Viertel der erwerbstätigen Schweizerinnen und Schweizer unter Stress leidet. Dies legt den Schluss nahe, dass auch rund ein Viertel aller Mitarbeitenden findet, ihr Arbeitgeber sei für den Workload der Organisation personell unterdotiert. 

 

Sind spezifische Fachkompetenzen für ein Grossprojekt gefragt, kann sich die Organisation grundsätzlich auch auf dem Markt bedienen, indem sie entweder neues Personal rekrutiert oder externe Berater und Projektleiter mandatiert. Leichter gesagt als getan, denn der Fachkräftemarkt ist ausgetrocknet. Gemäss Erhebungen eines Personalunternehmens gibt es in der Schweiz über alle Branchen gesehen rund 250’000 offene Stellen. Dem gegenüber steht eine tiefe Arbeitslosigkeit von 2.1%, was ungefähr 98’000 Arbeitssuchenden entspricht. Zudem kämpfen viele Unternehmen, die Projektleitungen, Berater und Fachkräfte anbieten, oftmals selbst mit Vakanzen, personellen Wechseln und Engpässen. 

 

Fakt ist: Aktuell sind viele interne Projektmitglieder aufgrund der Doppelfunktion belastet und gleichzeitig fehlen neue Ressourcen im Markt. 

 

Inhalt / Projektziele 

 

Der Inhalt eines Projekts wird auch als Projekt-Scope bezeichnet und leitet sich von den Zielen ab, die mit dem Projekt verfolgt werden. Nicht selten kommt es vor, dass sich der Projekt-Scope oder die Ziele im Laufe des Projekts erweitern oder gänzlich verändern. Dies beispielsweise, weil sich die strategische Ausrichtung des Unternehmens verändert, neue Erkenntnisse zugrunde gelegt werden, Partikularinteressen in den Fokus rücken oder sich Abhängigkeiten zu anderen Projekten ergeben. In der Praxis lässt sich feststellen, dass beispielsweise bei IT-Projekten neben den bereits definierten Schnittstellen oftmals noch weitere Schnittstellen zu bestehenden Umsystemen gefordert werden. Dadurch erhöhen sich naturgemäss der Projekt-Scope, die Komplexität und der Aufwand, was sich wiederum auf den Ressourcenbedarf für die Projektorganisation und auf die Durchlaufzeit des Projekts auswirkt. Entsprechend sollte der Projekt-Scope zu Beginn des Projekts seriös gewählt und sämtliche Projekterweiterungen detailliert im Rahmen des Change Managements geprüft werden. Auch hierfür sind personelle Ressourcen erforderlich. 

 

Formelles / Methodik 

 

Es gibt unterschiedliche Methoden und Ansätze, wie Projekte geführt und umgesetzt werden können. Unabhängig von der Methodik müssen gewisse Voraussetzungen und Rahmenbedingungen vorliegen. Beispielsweise ist die Projektorganisation immer getrennt von der Stammorganisation zu betrachten. Weiter sind Entscheidungsgremien, Informations-, Kommunikations- und Eskalationswege zu definieren. Grossprojekte stehen aufgrund ihrer Bedeutung und Tragweite besonders im Fokus. Eine formell einwandfreie Abwicklung ist daher unabdingbar. Dies ist jedoch nicht einfach mit einer bestimmten Methodik gewährleistet, vielmehr sind die Projektmitglieder und insbesondere die Projektleitung und ihre Fachkompetenz die entscheidenden Erfolgsfaktoren 

 

Die Leitung des Projekts ist einer Person zu übertragen, die das nötige Knowhow im Projektmanagement mitbringt. Dieses Knowhow umfasst sowohl die Erfahrung im Abwickeln von Grossprojekten als auch die Kenntnisse der geforderten Methodik. Und wie oben beschrieben, sind die Projektmitarbeitenden mit ausreichend Ressourcen auszustatten.  

 

Zusammenfassung

 

Grossprojekte sind in der Regel komplex und binden viele personelle Ressourcen. Gleichzeitig stehen sie aufgrund ihrer Bedeutung und dem oftmals damit einhergehenden hohen Kapitalbedarf im Fokus von Aufsichtsorganen. Diesen Ansprüchen und Anforderungen stehen die begrenzten Ressourcen gegenüber. Was also können Organisationen tun, wenn sie vor diesen Herausforderungen stehen? 

 

Der wichtigste Punkt vorneweg: Verschaffen Sie sich einen Überblick über alle laufenden und anstehenden Projekte sowie deren Priorität. Es kann auch helfen, zu prüfen, ob wirklich alle Vorhaben die Voraussetzungen für ein Projekt erfüllen. In einem Projektportfoliomanagement sollten alle Projekte aufgeführt und der erforderliche Ressourcenbedarf ausgewiesen werden. So sehen Sie, wo und wie intensiv die einzelnen Projektmitglieder in die Projektarbeit eingebunden sind. 

 

Definieren Sie die Prioritäten: Ist die Dringlichkeit der einzelnen Projekte immer gegeben? Prüfen Sie, ob das Vorhaben tatsächlich zum aktuellen Zeitpunkt durchgeführt werden muss, und schieben Sie weniger wichtige Projekte auf einen späteren Termin.

 

Legen Sie hohen Wert auf eine umfassende und qualitativ gute «Initialisierung» des Projekts. In der Initialisierungsphase werden wichtige Erkenntnisse gesammelt, die, wenn sie ordentlich erhoben und analysiert wurden, die Gefahr einer Projekt-Scope-Ausweitung reduzieren. Eine saubere Initialisierung erfasst die Komplexität des Projekts von Beginn an seriös und schafft valide Planungsgrundlagen.  

 

Kurz: Eine seriöse Projektplanung, adäquate Ressourcen und Methoden sowie eine klare Priorisierung der Projekte sind solide Grundlagen für die erfolgreiche Realisierung von Grossprojekten.