Recht haben bedeutet nicht Recht bekommen

Recht haben bedeutet nicht Recht bekommen

März 2022

Romeo Minini

, lic. iur. HSG; RA; Exec. MBA HSG

«Wenn eine Partei ihren geltend gemachten Anspruch aus einer Vertragsverletzung nicht beweisen kann, dann muss sie die rechtlichen Folgen tragen. Daher wird empfohlen, schriftliche Verträge aufzusetzen, schriftliche Beweisstücke wie E-Mails und Urkunden zu sammeln und die vertraglichen Leistungen periodisch zu überprüfen, um ein allfälliges Nicht-Einhalten frühzeitig festzustellen.»

Rechtsansprüche aus Vertrag – ihre Durchsetzung ist ein anspruchsvoller Hindernislauf. Auf dem Rechtsweg erleben Klagende mitunter, dass Recht zu haben nicht immer bedeutet, Recht zu bekommen.

 

Etwas versprechen und nicht einhalten verletzt bei den meisten Menschen das Gerechtigkeitsempfinden. Im Alltag wird  beispielsweise ein abgeschlossener Vertrag nicht erfüllt. Das Urteil ist rasch gefällt. Diejenige Partei, die im «Unrecht» ist, soll zur Verantwortung gezogen werden. Oftmals muss zur Durchsetzung der eigenen Ansprüche der Rechtsweg beschritten werden. Dann beginnt ein Hindernislauf, weil zahlreiche verfahrensrechtliche Fallstricke einen sicher geglaubten Erfolg in einen Misserfolg verwandeln können. Die betroffene Partei erlebt in solchen Situationen, dass sich im Recht befinden nicht zwingend auch Recht bekommen bedeutet. Wie ist vorzugehen, um solche Überraschungen zu vermeiden? Die folgenden Ausführungen zeigen praktische Möglichkeiten auf und beschreiben die Grundsätze des Beweisverfahrens.

 

Wie ist die Ausgangslage zu umschreiben?

Massgebend ist die Rechtsgrundlage. Wenn eine Partei ihre Ansprüche aus einem Vertrag ableitet, dann muss ein Vertrag vorliegen, der rechtsgültig zustande gekommen ist. Wird ein Vertrag nicht eingehalten, liegt eine Vertragsverletzung vor. In diesem  Fall muss dem Recht zum Durchbruch verholfen werden. Der Alltag  in der Vertragswelt ist aber nicht immer so eindeutig.  Es bestehen offene Fragen im Zusammenhang mit den vertraglichen Pflichten. Oder es liegt eine Situation vor, bei welcher eine Vertragsverletzung zwar objektiv vorliegt, diese aber keiner Partei angelastet werden kann. Noch kniffliger wird die Angelegenheit, wenn beide Parteien einen Teil der Verantwortung an der Vertragsverletzung tragen. Die Erfahrung zeigt, dass der Ausgang eines solchen Streits oft ungewiss ist und dass nicht immer diejenige Partei obsiegt, bei der auf den ersten Blick eigentlich alles als «rechtlich klar» erscheint.

 

Wie kann aus einem sicher geglaubten Sieg noch eine Niederlage im Streitverfahren entstehen?

Vorab ist zu beachten, dass die allermeisten Verträge im Alltag keiner Formvorschrift unterliegen. Es gibt wenige gesetzlich vorgeschriebene Ausnahmen, bei denen ausdrücklich Schriftlichkeit verlangt wird (zum Beispiel Kaufvertrag für Liegenschaften, Ehe- und Erbvertrag). Weil der Inhalt eines mündlich abgeschlossenen Vertrags im Streitfall nicht bewiesen werden kann, wählen die Parteien im Rechtsalltag die Schriftform. Dieser Schritt allein genügt aber nicht in allen Fällen. Vielmehr muss das Vertragsdokument inhaltlich die Rechte und Pflichten der Parteien vollständig erfassen, rechtlich klar und präzise abgefasst sein und auf offene Formulierungen verzichten.

 

Die Parteien vernachlässigen jedoch oftmals die Beilagen zum Vertrag. Diese Dokumente leisten einen wichtigen Beitrag, um die Vertragsbestimmungen näher zu umschreiben oder die vereinbarten Leistungen konkreter zu spezifizieren.

 

Vertragliche Anpassungen sind schriftlich in Nachträgen zum Vertrag festzuhalten. Häufig werden vertragliche Anpassungen im Rahmen von Projektleitungssitzungen beschlossen, die zwischen den Vertragsparteien stattfinden. Es ist darauf zu achten, dass die Protokolle vollständig sind und von den Parteien akzeptiert werden. Damit die Dokumente mit Beweischarakter bewirtschaftet werden können, ist ein effizientes Ablage- und Archivierungssystem zu betreiben.

 

Welche Beweisregeln gilt es zu beachten?

Als Beweisregel gilt der Grundsatz, wonach jemand seinen Anspruch beweisen muss; er trägt somit die Beweislast. Unter dieser Prämisse kann eine Situation eintreten, die gegen das Rechtsempfinden verstossen und dem Gerechtigkeitssinn widersprechen kann. Eine Partei vertritt die Auffassung, dass ihr ein rechtmässiger Anspruch auf eine bestimmte Leistung zusteht, es gelingt ihr aber nicht, diesen zu beweisen.

 

Was bedeutet dies im Rechtsalltag?

Wenn eine Partei ihren geltend gemachten Anspruch aus einer Vertragsverletzung nicht beweisen kann, dann muss sie die rechtlichen Folgen tragen. Seine Durchsetzung kann dann sehr anspruchsvoll oder sogar unmöglich werden. Die Parteien können allenfalls einen Vergleich suchen, wenn beide Seiten an einer ausgewogenen Lösung interessiert sind, weil die rechtlichen Verhältnisse beispielsweise mit Blick auf die Beweislage für beide Parteien unklar sind. Im Streitfall wird ein Gericht jedoch zuungunsten derjenigen Partei entscheiden, welche die Beweislast für die Geltendmachung ihres Rechtsanspruchs trägt und den Beweis nicht erbringen kann.

 

Wie ist vorzugehen, um die eigene Position zu stärken?

Dokumente, Vertragsurkunden,  E-Mail-Nachrichten usw. können als taugliche Beweismittel bezeichnet werden, um in einem Streitverfahren einen Rechtsanspruch zu beweisen. Der Beweiswert dieser Urkunden hängt insbesondere auch davon ab, ob diese klar formuliert sind, sämtliche Tatsachen erfassen und von den Parteien anerkannt werden. In einem Streitverfahren können auch weitere Beweismittel verwendet werden, um die geltend gemachten Ansprüche zu beweisen. Zu erwähnen sind neben der Urkunde Gutachten von Experten oder die Auskunft von behördlichen Amtsstellen. Unter bestimmten Voraussetzungen können Zeugen oder Auskunftspersonen als Beweismittel  infrage kommen.

 

Welche Massnahmen bieten sich an, um ein Streitverfahren zu verhindern?

Die Parteien können sich auf ein Vorgehen einigen, das durch frühzeitige Interventionen im Sinne eines Frühwarnsystems das Eintreten von Vertragsverletzungen nach Möglichkeit verhindert. In der Praxis bewährt sich ein standardisiertes Controlling im Rahmen der Vertragserfüllung. Die vertraglichen Leistungen sind periodisch  zu überprüfen. Es gilt, die Prüf- und Abnahmekriterien festzulegen und die Ergebnisse schriftlich festzuhalten. Die Parteien können auch Interventionsmöglichkeiten vereinbaren, wenn sich drohende  Vertragsverletzungen abzeichnen. Jede Partei bleibt dafür verantwortlich, dass sie ihre Ansprüche im Streitfall mit geeigneten Mitteln beweisen kann.

 

Daher sind die Parteien gut beraten, der Beschaffung  und Sicherstellung der Beweismittel die gebührende Beachtung zu schenken und bei der Festlegung ihrer Rechte stets auch an die Durchsetzung der daraus abgeleiteten Ansprüche zu denken. Jeder Schritt im Zusammenhang mit der materiellen Vertragserfüllung wird mit der Sicherstellung der geeigneten Beweismittel begleitet, die als eigentliche Rückfallposition für den Streitfall zu betrachten sind. Sie verhelfen den Parteien nicht nur zur erfolgreichen Durchsetzung ihrer Ansprüche, sondern tragen auch dazu bei, dass die Parteien im Streitverfahren nicht erfahren müssen, dass Recht haben und Recht bekommen nicht dasselbe bedeuten.