Quiet Quitting – Faulheit oder Revolution?

Quiet Quitting – Faulheit oder Revolution?

März 2023

Anela Gantenbein

, EMBA, B.A. Politik-, Verwaltungswissenschaften, Soziologie, M.A. Wirtschaftspsychologie

Wie die Ära der Extrameile zu Ende geht und mit welchen Konsequenzen Arbeitgebende rechnen müssen

Die letzten Jahre haben nicht nur die Arbeitswelt verändert, sondern auch die Einstellung der Mitarbeitenden zu Beruf und Arbeit. Viele Beschäftigte sind mit ihrer Situation nicht mehr zufrieden und suchen vermehrt ein Arbeitsumfeld, das ihnen mehr Sinn verleiht oder nicht mehr so viel abverlangt. Lohneinbussen oder Risiken nehmen sie dabei bewusst in Kauf. Viele Unternehmen verzeichnen seit der Pandemie einen hohen Anstieg von Selbstkündigungen. Gleichzeitig ist der Arbeitsmarkt in einzelnen Bereichen völlig ausgetrocknet; qualifiziertes Personal ist, wenn überhaupt, oftmals nur zu exorbitanten Konditionen verfügbar. Öffentliche Verwaltungen ziehen hierbei im Wettbewerb mit der freien Markwirtschaft oftmals den Kürzeren, denn die Lohnsysteme und -bänder sind relativ starr, das Personalbudget vorgegeben und der Gestaltungsspielraum klein.

 

Für die ungekündigten Kolleginnen und Kollegen bedeutet dies: Sie müssen die vakanten Stellen temporär kompensieren und ihren Beitrag zur Aufrechterhaltung des Betriebs leistendies zumindest erwarten die Arbeitgebenden. Parolen wie «Wir müssen jetzt zusammenhalten», «Sobald wir Personal gefunden haben, wird sich die Situation entschärfen», «Wir sind ein Team» verlieren zunehmend an Wirkung. Mitarbeitende sind oftmals schlichtweg nicht mehr bereit, zu kompensieren, Lücken zu füllen oder die Extrameile für den Arbeitgeber zu gehen. Dabei verkünden sie diese Haltung nicht mit Protest oder lautstarker Gegenwehr. Nein. Sie ändern im Stillen ihr Verhalten und achten penibel darauf, die Pflichten hinsichtlich ihrer Aufgabe und Soll-Arbeitszeit zu erfüllen, aber nicht mehr. Diese Entwicklung hat einen Namen: Quiet Quitting.

 

Im deutschsprachigen Raum kommt bei der Diskussion um diesen Begriff schnell der Vergleich mit der «inneren Kündigung» auf. Doch dieser Vergleich hinkt. Die innere Kündigung ist eine Resignation. Zwar ist auch sie eine Reaktion auf unbefriedigende Arbeitsbedingungen, aber die innere Kündigung hat nichts mit einem verschobenen persönlichen Fokus zu tun, sondern mit dem verlorenen Willen, überhaupt Teil des Unternehmens zu sein. Mitarbeitende, die innerlich gekündigt haben, sind wenig motiviert und distanzieren sich zunehmend von Job, Kollegen und Unternehmen. Anders beim Quiet Quitting: Die Mitarbeitenden sind grundsätzlich motiviert und identifizieren sich mit dem Unternehmen und der Aufgabe, jedoch nicht mehr um jeden Preis. 

 

Was bedeutet dies für Arbeitgebende? 

 

Die Auswirkungen von Quiet Quitting sind fatal und bringen Organisationen an ihre Grenzen. Rechtlich kann eine Arbeitgeberin nur in Ausnahmefällen die Leistung von Überstunden einfordern. Doch in der Praxis wird das Erbringen von Mehrarbeit oftmals nicht nur vorausgesetzt, sondern die Betriebe und Organisationen sind auch darauf angewiesen. Was passiert nun, wenn die Bereitschaft seitens der Mitarbeitenden nicht mehr vorhanden ist? Hier ein kleines Rechenbeispiel: 

 

Eine Organisation mit zehn vollbeschäftigten Mitarbeitenden weist eine mögliche Produktivität von zehn Full Time Equivalent (FTE) aus. Leistet jeder Mitarbeitende nur 10% mehr, entspricht dies einer zusätzlichen produktiven Vollzeitstelle. In der Praxis wird diese Extrameile der Mitarbeitenden als gegeben gesehen und fest in die betrieblichen Abläufe eingeplant. Fallen diese Leistungen respektive die Extrameile weg, fehlen der Organisation wichtige Ressourcen. Kommt nun die eine oder andere Fluktuation hinzu, verschärft sich die Situation weiter

 

Ähnlich sieht es auch im Projektmanagement aus. Hier ist man ohnehin auf eine hohe Flexibilität der Projektmitglieder angewiesen, da Projekte bekanntlich volatil verlaufen und je nach Phase unterschiedliche Ressourceneinsätze fordern. Sinkt die Bereitschaft der Mitarbeitenden, solche Projektspitzen aufzufangen, kann dies enorme Konsequenzen auf Fristen, Termine oder die Qualität der Lieferergebnisse mit sich bringen. 

 

Sie sind Arbeitgeber, Arbeitgeberin und aktuell mit dieser Situation konfrontiert? Was können Sie tun? 

 

Auch wenn die Antwort etwas ernüchternd klingt: Es gibt wenig Möglichkeiten. Mitarbeitende können und sollten nicht gezwungen werden, die Extrameile zu gehen. Im Grunde erfüllen sie nämlich ihre Arbeitnehmerpflichten, indem sie die Arbeiten gemäss Arbeitsvereinbarung und Stellenprofil leisten. Folglich muss der Personal- und Stellenbedarf auf Basis der Soll-Arbeitszeiten kalkuliert werden und die Mehrarbeit der bestehenden Belegschaft unberücksichtigt bleiben oder aber es werden neue Ressourcen generiert. Da jedoch zusätzliche Stellen nicht immer einfach zu realisieren sind, sollte der Fokus auf den Handlungsmöglichkeiten und Stellschrauben in der Organisation, auf den Prozessen und dem Einsatz von IT-Tools liegen. Beachten Sie dabei folgenden 10-Punkte-Plan: 

 

  • Überprüfen Sie die Aufgaben und Leistungen: Müssen alle Aufgaben wirklich in der bisherigen Intensität ausgeführt werden? Gibt es Aufgaben, die sich an externe Dienstleister auslagern lassen?
  • Optimieren Sie Ihre Prozesse: Können Prozesse schlanker und effizienter gestaltet werden? Lassen sich bestehende oder neue IT-Systeme zu einer Vereinfachung oder Automatisierung der Prozesse weiterentwickeln? 
  • Fördern Sie das «End-to-End-Denken» von Prozessen; nur wenn Ihre Mitarbeitenden wissen, welche Prozesse und Arbeitsschritte vor- und nachgelagert erfolgen, können sie sich mit der Arbeit identifizieren. 
  • Überprüfen Sie die Strukturen in Ihrer Organisation und definieren Sie für wichtige Schlüsselfunktionen echte Stellvertretungen. 
  • Fördern Sie die Teamarbeit und cross-funktionale Strukturen. Damit verteilt sich das Wissen in Ihrer Organisation automatisch auf mehrere Personen und auch die Zusammenarbeit wird verbessert. 
  • Entwickeln Sie Ihre Führungspersonen. Wertschätzung, Raum für eigenverantwortliches Arbeiten und eine gute Balance aus Kontrolle und Unterstützung sind wichtige Erfolgsfaktoren für positive Führung. 
  • Überprüfen Sie den tatsächlichen Stellen- und Personalbedarf. Stehen Mitarbeitende permanent unter grosser Belastung oder Leistungsdruck, verlassen sie mittelfristig Ihre Organisation. 
  • Schaffen Sie Raum für den informellen Austausch und betriebsinterne Aktivitäten. Mitarbeitende nutzen solche Kanäle gerne für die Kommunikation untereinander. 
  • Überprüfen Sie Ihre Informatik und die Möglichkeiten, Software und Tools zur Unterstützung der Effektivität und Effizienz zu etablieren.
  • Belohnen Sie überdurchschnittlichen Einsatz von Mitarbeitenden. Dies kann monetär erfolgen, aber auch durch eine wertschätzende Kommunikation und die berufliche Förderung des oder der Mitarbeitenden.

 

Die veränderten Werte und Einstellungen von Mitarbeitenden sind kein Trend oder ein kurzfristiges Phänomen. Es handelt sich um eine gesellschaftliche Entwicklung, die es zu akzeptieren gilt, und die bei der unternehmerischen und organisatorischen Planung bedacht und berücksichtigt werden muss. 

 

Sie wissen nicht, wo anfangen? Wir zeigen es Ihnen gerne. 

© 2023 BSG - All rights reserved

Made with ❤ by Kernbrand AG​