Totale Digitalisierung – weg mit den Mitarbeitern?

Totale Digitalisierung – weg mit den Mitarbeitern?

Mai 2019

Iwan Schnyder

, Dipl. El.-Ing. ETH / MAS FHO BAE

«Mit der Digitalisierung kann im Unternehmen Ballast in Form von unnötigen oder repetitiven Prozessschritten und Arbeiten abgeworfen werden. Der Mitarbeiter als Mensch mit seinen fachlichen Fähigkeiten und persönlichen Qualitäten rückt dabei noch mehr ins Zentrum des Unternehmens.»

Wie weit lässt sich die Digitalisierung treiben? Wie verändert sie ein Unternehmen? Was bedeuten diese Veränderungen für die Mitarbeiter? Digitalisierung ist derzeit in aller Munde, die Medien prognostizieren regelmässig hunderttausende Arbeitsplätze, die inskünftig wegfallen. Und wie vor 40 Jahren, als die ersten Roboter in den Produktionshallen der Firmen installiert wurden, stellen sich viele Fragen.

Gilt in Zukunft tatsächlich: Mensch oder Maschine? Und was genau wird eigentlich digitalisiert? Grundsätzlich können alle Prozesse und Abläufe digitalisiert werden, die standardisiert und automatisiert sind und deren Schnittstellen in digital nutzbarer Form vorliegen. Typische Beispiele sind:

  • Datenverarbeitung (Erfassung, Bearbeitung und Auswertung)
  • Einzelne oder mehrere Produktionsschritte oder ganze Produktionsprozesse
  • Zeiterfassung, Projektabrechnung und Leistungsverrechnung
  • Interaktion mit Ansprechstellen von Kunden und Lieferanten

Konkret bedeutet dies: Künftig werden wir massiv weniger Daten abtippen, Exceltabellen ausfüllen und hin- und her kopieren; wir werden weniger Handeingaben an Maschinen machen oder sonstige repetitive Prozesse händisch abarbeiten. Dies führt erwartungsgemäss zu kleinen und grossen Effizienzsteigerungen in den Prozessen und zu tieferen Fehlerquoten.

Indes: Es gibt eine Vielzahl an Tätigkeiten, die trotz umfassender Digitalisierung nur der Mensch ausführen kann sowie Tätigkeiten, die der Mensch schlicht besser erledigt als eine Maschine, weil dazu typisch menschliche Fähigkeiten notwendig sind:

  • Strategische und taktische Überlegungen und Entscheidungen für die Gegenwart und die Zukunft
  • Breit vernetztes Denken zur Schaffung neuer Lösungen und Ansätze
  • Kreativität, Schaffens- und Innovationskraft
  • Zusammenarbeit und Umgang mit Menschen und Emotionen
  • Umgang mit unplanbaren Situationen und mit Unsicherheiten, die eine Einschätzung der Lage inklusive Entscheidung verlangen.

Interessanterweise haben die beschriebenen Tätigkeiten allesamt einen direkten Einfluss auf die Wertschöpfung eines Unternehmens, sowohl kurz-, mittel als auch langfristig.
Aufgrund der erwähnten Effizienzsteigerungen werden mit der Digitalisierung für jeden Mitarbeiter neue Freiräume geschaffen. Und diese Freiräume können die Mitarbeiter nun nutzen, um sich vermehrt um die wertschöpfenden Tätigkeiten zu kümmern.

Wettbewerbsvorteil Digitalisierung?
Inwieweit lassen sich mit der Digitalisierung Wettbewerbsvorteile erzielen? Mittelfristig müssen Unternehmen bezüglich Digitalisierung zwangsläufig auf einem vergleichbaren Stand sein wie ihre Mitbewerber. Dies wird zur Grundvoraussetzung, um fortbestehen zu können. Das bedeutet: Unternehmen werden sich in ihren digitalisierten Prozessen und Arbeitsschritten sehr ähnlich. Unterschiede wird es vermehrt nur noch in der Ausübung der oben genannten wertschöpfenden Tätigkeiten geben, also jenen, die von Menschen ausgeführt werden. Konkret heisst das: Unternehmen unterscheiden sich in Zukunft durch die Qualität ihrer Mitarbeiter.

  • Wie sie die strategischen und taktischen Entscheidungen treffen
  • Ob sie breit und vernetzt denken können, um neue Lösungen und Ansätze zu kreieren
  • Wie gross ihre Kreativität, Schaffens- und Innovationskraft ist
  • Wie die emotionale Zusammenarbeit und der Umgang mit Kunden, Lieferanten oder anderen Mitarbeitern erfolgt
  • Wie sie mit ungeplanten Situationen und Unsicherheiten umgehen und ob sie die richtigen Entscheide treffen.

Die Digitalisierung ist also künftig kein Wettbewerbsvorteil, sondern eine Grundvoraussetzung für den Unternehmenserfolg. Wettbewerbsvorteile schaffen Unternehmen in erster Linie durch die Art, wie ihre Mitarbeiter die nicht digitalisierten Aufgaben und Tätigkeiten lösen.

Erfolgsfaktor Mensch
Wie gut die Mitarbeiter solche Aufgaben und Tätigkeiten meistern, hängt nicht ausschliesslich davon ab, wie sie das Handwerk verstehen, für das ausgebildet und letztlich auch angestellt sind. Ebenso wichtig sind das Engagement, die Leidenschaft und das Herzblut, die sie für ihr Unternehmen einsetzen. Denn nur weil ein Mitarbeiter über einen hervorragenden Abschluss und lange Erfahrung in seinem Fachbereich verfügt, heisst das bei Weitem nicht, dass er mit dem nötigen Engagement und der nötigen Leidenschaft im Sinne des Unternehmens handelt. Dies trifft übrigens auf alle Positionen in der Hierarchie eines Unternehmens zu, denn jeder ist in seiner Aufgabe wichtig und trägt zum Gesamterfolg bei.

Motivierte und engagierte Mitarbeiter werden somit genau wegen der Digitalisierung noch wichtiger und wertvoller für ein Unternehmen, als sie es bis anhin schon waren. Denn dank ihnen kann sich ein Unternehmen gegenüber seinen Mitbewerbern abheben und Alleinstellungsmerkmale schaffen.

Fazit
Mit der Digitalisierung kann im Unternehmen Ballast in Form von unnötigen oder repetitiven Prozessschritten und Arbeiten abgeworfen werden. Das steigert die Effizienz und schafft Freiräume für die Mitarbeiter. Der Mitarbeiter als Mensch mit seinen fachlichen Fähigkeiten und persönlichen Qualitäten rückt mit der Digitalisierung noch mehr ins Zentrum des Unternehmens. Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens hängen nun noch stärker von den Menschen im Unternehmen ab, als dies bereits vor der Digitalisierung der Fall war. Wer also im Markt bestehen will, ist digital – aber vor allem menschlich.

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