Der Hey-Joe-Effekt – verdeckte Kosten in der Informatik

Der Hey-Joe-Effekt – verdeckte Kosten in der Informatik

Mai 2017

Anela Fivaz

, B.A. Politik-, Verwaltungswissenschaften und Soziologie / Exec. MBA

«Ein Mitarbeiter, der seinem Kollegen beim Lösen eines IT-Problems hilft, arbeitet in dieser Zeit nicht an seiner Arbeit.»

Der Kostendruck in der IT ist in allen Unternehmen spürbar. Die Folge: gleichbleibende oder gar abnehmende Budgets – und das bei der Forderung nach immer mehr Funktionen. Automatisierung, Zentralisierung und Prozessoptimierung sind hier die bekannten Stossrichtungen. Wer aber in der Informatik Kosten senken will, muss seine Kosten erst kennen. Das ist nicht immer der Fall. Die indirekten Kosten sind nämlich schwer zu erheben und wenig transparent. Sie werden in der Regel in keinem Controlling berücksichtigt und daher oft vergessen oder einfach nicht beachtet. Mit fatalen Folgen.

Die Gesamtkosten der Informatik werden im TCO-Modell (Total Cost of Ownership) in einen direkten und indirekten Bereich eingeteilt. Die direkten Kosten können klar beziffert werden. Es handelt sich hierbei um Kosten für Hard- und Software, Personal, Räume etc. Zu den indirekten Kosten hingegen zählen unter anderem die Unproduktivität der Mitarbeiter aufgrund von Systemausfällen oder IT-Problemen. Interessant ist, dass die direkten Kosten bestenfalls 50% der Gesamtkosten ausmachen. Die andere Hälfte der Kosten entsteht tatsächlich durch die Unproduktivität der Mitarbeiter. Heisst das, dass die bekannten, direkten Kosten verdoppelt werden müssen? Ja, unvorstellbar, aber wahr.

Am Beispiel des Hey-Joe-Effekts wird erläutert, wie es zu diesen hohen Kosten kommt, warum diese nicht transparent sind und vor allen Dingen: Wie man ihnen entgegenwirken kann.

Der Hey-Joe-Effekt
Die Situation kennt jeder: Die Informatik funktioniert nicht, wie sie soll. Ein Schreiben sollte dringend zur Post, doch mit der Formatierung und dem Druck des Textes klappt es einfach nicht. IT-Probleme treten immer dann auf, wenn man sie am wenigsten braucht. Naturgemäss bitten Mitarbeiter zuerst einmal ihre Kollegen um Hilfe. Dabei rückt der Wirtschaftlichkeitsaspekt oftmals in den Hintergrund: Ein Mitarbeiter, der seinem Kollegen beim Lösen eines IT-Problems hilft, arbeitet in dieser Zeit nicht an seiner Arbeit. Und auch der andere Kollege, der ein paar Minuten später um Hilfe gebeten wird, lässt seine eigene Arbeit ruhen. Diese Art von Betreuung „auf dem kleinen Dienstweg“ wird als Hey-Joe-Support bezeichnet und ist eine besonders teure Art von informeller Hilfe unter Kollegen, denn falls Joe die Antwort nicht sofort weiss, werden weitere Joes in die Diskussion miteinbezogen.

„Man muss sich gegenseitig helfen, das ist ein Naturgesetz!“

Jean de la Fontaine

Naturgemäss sind Unternehmen betriebswirtschaftlich orientiert und daran interessiert, die Kosten zu reduzieren und unnötige Kosten zu eliminieren. Bei der IT liegt der Fokus heute nur auf den direkten Kosten. Dabei ist im Bereich der indirekten Kosten mindestens genauso viel Einsparpotenzial vorhanden, wenn nicht mehr. Im Grunde geht es darum, dem Hey-Joe-Effekt zu begegnen und den Produktivitätsausfall bei den Mitarbeitern zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. Da Mitarbeiter aber sehr unterschiedliche Wissensstände, Fähigkeiten und Fertigkeiten haben, ist dies mitunter ein schwieriges Unterfangen. Denn: Besonders im IT-Umfeld, wo wir es mit einer kurzen Halbwertszeit des Wissens bei stetig steigender Komplexität zu tun haben, ist es zentral, IT-Wissen zu gewinnen, zu vermitteln und einfach nur zu bewahren.

Dazu haben sich aus unserer Erfahrung – abhängig von Situation und Themenstellung – nachfolgende Ansätze besonders bewährt:

  • fachspezifische externe Schulungen (z.B. Finanzprogramm, sonstige Fachapplikationen), insbesondere bei Produkterweiterungen, Release-Wechseln, neuen Prozessen oder allgemein bei Neuanstellungen von Mitarbeitern
  • innerbetriebliches Schulungsprogramm für Mitarbeiter (z.B. für MS-Office-Produkte), abhängig vom Stellenanforderungsprofil auf freiwilliger Basis oder als Pflichtschulung zur Stärkung der Fachkenntnisse
  • Multiplikatoren bzw. Key-User in den Fachabteilungen, z.B. für Hardwareprobleme oder als erste Ansprechpartner für komplexe Fachapplikationen oder wenig verwendete Prozesse
  • zentrale EDV-Hotline/User-Help-Desk (UHD), 1st-, 2nd- und 3rd-Level-Support: Ein User-Help-Desk ist die zentrale Anlaufstelle für alle Serviceanfragen innerhalb einer Organisation. Oftmals wird in diesem Zusammenhang der Begriff SPOC (Single Point of Contact) genannt. Wichtig ist hier, dass der 1st-Level-Support auch zeitnah Unterstützung leisten kann.

Welche Organisationsform des Supportprozesses für ein Unternehmen Sinn macht, hängt von verschiedenen Faktoren ab, beispielsweise von der Grösse des Unternehmens, der Diversifikation der Fachanwendungen und der örtlichen, respektive räumlichen Gegebenheiten.

Als ideale Kombination hat sich ein Zusammenspiel von Multiplikatoren (1st-Level-Support) und User-Help-Desk (2nd-Level-Support) erwiesen. Hierbei müssen aber die Zuständigkeitsabgrenzungen und insbesondere die Abläufe – wann ist welche Ebene zu beteiligen? – dezidiert betrachtet und bewertet werden. Auch der Einsatz von wenig beliebten Ticket-Systemen kann unter bestimmten Voraussetzungen eine effiziente und strukturierte Problembehebung unterstützen. Welches Instrument und welche Kombination sich für eine Organisation eignen, lässt sich am besten durch eine Bestandsaufnahme (vorhandene IT-Infrastruktur, Diversifikation der Fachverfahren, Wissensstand der Mitarbeiter etc.) und eine prozessuale Betrachtung der Arbeitsabläufe feststellen.

Gleichwohl, welche Art von Problemlösungsprozess gewählt wird, gilt: Es ist wichtig, dass die Supportprozesse definiert und kommuniziert sind. Andernfalls führen sie zu sehr viel Aufwand und verunsichern die Mitarbeiter. Und immer, wenn Mitarbeiter unsicher sind, muss Joe ran. Mit einer kleinen Umfrage bei Ihren Mitarbeitern können Sie die aktuelle Ausprägung der Hey-Joe-Nutzung ermitteln. Die Umfrage sollte von Zeit zu Zeit wiederholt werden, um festzustellen, ob und inwieweit Massnahmen greifen und wie gut Ihr formeller IT-Support funktioniert.

Grundsätzlich soll das Hey-Joe-Prinzip nicht gänzlich eingedämmt, sondern vielmehr unternehmensseitig bewusst gesteuert werden.

Einander zu helfen und Probleme gemeinsam zu lösen, ist nämlich wichtig und auch richtig. Allerdings hilft es, die üblichen Joes, also die Mitarbeiter, die gerne als erste Ansprechperson kontaktiert werden, speziell weiterzuentwickeln und zu schulen. Somit werden mit dem Einsatz geeigneter Instrumente die Vorteile von Teamarbeit mit Effizienz kombiniert und die Kosten für den Hey-Joe insgesamt reduziert. Im Idealfall wenden sich die Mitarbeiter bei kleinen Problemen direkt an Joe, bei grösseren wird sofort der formelle IT-Support kontaktiert. Oftmals lässt sich der Problemumfang zu Beginn des Lösungsprozesses noch nicht absehen. Hier gilt es, die Mitarbeiter zu sensibilisieren, dass sie beispielsweise nach einem ersten erfolglosen Lösungsversuch von Joe direkt auf den formalen IT-Support zugehen.

© 2023 BSG - All rights reserved

Made with ❤ by Kernbrand AG​