Digitalisierung heisst: die eigene Wertschöpfung neu erfinden

Digitalisierung heisst: die eigene Wertschöpfung neu erfinden

März 2020

Maurus Fässler

, M.A. HSG Banking and Finance

«Heute entscheidet eine flexible Unternehmensarchitektur, ob ein Unternehmen zeitnah seine eigene Wertschöpfungskette an die neuen technologischen Rahmenbedingungen anpassen kann.»

Digitalisierung beinhaltet das Umwandeln und Weiterverarbeiten von analogen Werten in digitaler Form. Der Hype um die Digitalisierung scheint ungebrochen, obwohl sie mit dem Internet und technischen Komponenten wie dem Desktop PC oder dem ersten Notebook schon vor über 30 Jahren Einzug gehalten hat. Warum verliert die Digitalisierung nicht an Bedeutung? Mehr noch: Warum taucht sie in immer neuen Gewändern wie Industrie 4.0, Arbeitswelt 4.0, New Work etc. immer wieder auf?

 

Mit dem Einzug der Informationstechnologien vor rund drei Dekaden begann sich die Informatik als Geschäftszweig innerhalb der Unternehmen zu entwickeln. Wie einst die Waschmaschine als technische Revolution Abhilfe im Haushalt schaffte, gelang es der Informatik vor der Jahrtausendwende, für Erleichterung zu sorgen, insbesondere im Bereich der ERP-Software. Statt manueller Tätigkeiten, die in Papierbergen endeten, wurden Daten erstmals manuell in ein System eingepflegt und erste Auswertungen generiert.

 

Wie für Waschmaschinen gilt auch für Informatiksysteme: Sie müssen für die Nutzer zum gewünschten Zeitpunkt verfügbar sein. Ist dies nicht der Fall, muss manuelle Arbeit geleistet werden, was beim Mitarbeitenden zu Unzufriedenheit führt. Diese Wahrnehmung der Informatik als Hygienefaktor scheint sich auch nach 30 Jahren nicht gross verändert zu haben. Dass die Informatik bei den Mitarbeitenden nicht in erster Linie positiv wahrgenommen wird, führte in der Vergangenheit in vielen Betrieben dazu, dass sich die Informatik auf die operationelle Qualität und damit auf die Aufrechterhaltung eines hochverfügbaren IT-Betriebs konzentrierte.

 

Die Omnipräsenz des Digitalisierungsbegriffs

 

Doch seit der Jahrtausendwende wurde immer offensichtlicher: Das World Wide Web kann nicht nur für elektronische Visitenkarten oder als Kommunikationsplattform genutzt werden, sondern mit Inhalten und hinterlegten Abläufen wie Algorithmen für weit mehr. Durch die erweiterte Nutzung des Webs gab es zwei wichtige Entwicklungen für die IT: Zum einen erhielt das IT-Image mit der Einbindung des Marketings in die Onlinewelt eine Auffrischung; zum anderen wurde die bis dato durch die ERP-Systeme geprägte Innensicht des Unternehmens um die Aussensicht des Kunden erweitert; denn der Kunde erwartete nun mehr vom Unternehmen als nur eine effiziente interne Prozessabwicklung. Und schliesslich kam mit dem Smart Phone das mobile, internetgebundene Endgerät für jedermann.

 

Alle diese Entwicklungen haben eines gemeinsam: Sie sind wesentliche Technologiesprünge, die Auswirkungen auf die Prozesse und die Organisation eines Unternehmens haben können. Oft sind es jedoch nur wenige Unternehmen, die technologische Entwicklungen gezielt verfolgen und mögliche Konsequenzen für ihr Geschäftsmodell ableiten, also für der Art und Weise, wie sie Gewinne erwirtschaften. Welches Unternehmen hinterfragt schon gerne die eigenen wertschöpfenden Prozesse, die heute den Gewinn einbringen?

 

Doch mit zunehmenden Technologiesprüngen, wie etwa dem Mobilfunkstandard 5G, steigt die Vernetzung exponentiell – und mit ihr die Möglichkeiten, wie ein Unternehmen seine Wertschöpfung neu gestalten kann. Und weil der Markt in jüngster Zeit vermehrt Unternehmen als positive Beispiele für den Wandel oder die Entwicklung ihres Geschäftsmodells hervorbringt, zwingt dies die restlichen Wettbewerber zum Handeln. Dies ist wohl der Grund, warum bis heute der Begriff der Digitalisierung in verschiedensten Formen präsent ist. Doch: Welches sind die Voraussetzungen für ein Unternehmen, damit es mit diesen technologischen Entwicklungen erfolgreich mithalten kann?

 

Von der Informatik zum digitalisierten Geschäftsmodell

 

Die reine Aufrechterhaltung des Informatikbetriebs wird auch künftig von hoher Bedeutung sein, da die Mitarbeitenden eine hohe Verfügbarkeit und eine verlässliche Performance ihrer Informatikumgebung fordern. Doch für Unternehmen gilt ebenso, den möglichen Einfluss von technologischen Neuerungen im Strategieprozess stärker zu berücksichtigen.

 

Eine Digitalisierungsstrategie ist Teil der Geschäftsstrategie. Sie beschreibt die möglichen Auswirkungen der technologischen Entwicklungen auf die eigenen wertschöpfenden Prozesse und Unternehmensbereiche. Eine Digitalisierungsstrategie richtet die Unternehmensarchitektur, also die unternehmensinterne Organisation und deren Prozesse, auf die technischen Möglichkeiten des Unternehmens aus. So gilt es unter anderem zu definieren, welche Bereiche der Wertschöpfung ganz weggelassen werden und welche Bereiche durch Informationstechnologien, den Lieferanten, den Mitarbeitenden oder den Kunden zu verrichten sind.

 

Sofern die geschäftliche Ausrichtung eines Unternehmens klar ist, lässt sich daraus eine geeignete IT-Architektur ableiten. IT-Hilfsmittel müssen die Prozesse effektiv und effizient unterstützen. Zudem gilt es, die Organisation abzubilden und beispielsweise die zugehörigen Berechtigungen zu hinterlegen. Im heutigen Zeitalter der Datenerfassung spielen jedoch vermehrt die effektive und effiziente Speicherung und Verarbeitung von Daten eine zentrale Rolle, um aus dieser Sammlung automatisiert weiteren Nutzen zu gewinnen.

 

Doch auch wenn sich ein Unternehmen dazu entscheidet, die Unternehmens- und IT-Architektur an das neue Geschäftsmodell anzupassen, ist es nicht von weiteren externen Technologie-Schocks gefeit. Aus diesem Grund ist es von zentraler Bedeutung, sowohl die Unternehmens- als auch die IT-Architektur flexibel auszugestalten. Nur wenn die Organisation und die Informatik fähig sind, auf neue Entwicklungen mit einer zeitnahen klaren neuen Ausrichtung ihres Geschäftsmodells zu reagieren, ist ein nachhaltiger Erfolg am Markt möglich. Die Automobilbranche hat mit der sehr modularen Gestaltung und Weiterentwicklung ihrer Plattformen gezeigt, dass ihr die Schaffung der notwendigen Flexibilität im industriellen Sektor gelungen ist.

 

Fazit

 

Obwohl sich Digitalisierung von «digitus» (lat. für Finger) ableitet, lässt sich die unternehmensweite Transformation im Bereich der Informationstechnologie nicht mit einem Fingerschnipp erreichen. Heute entscheidet eine flexible Unternehmensarchitektur, ob ein Unternehmen zeitnah seine eigene Wertschöpfungskette an die neuen technologischen Rahmenbedingungen anpassen kann. Insbesondere im technischen Bereich erfordert dies ein aktives Monitoring der Entwicklungen sowie eine systematische Pflege der Unternehmens- und IT-Architektur. Wenn ein Unternehmen beide Architekturen genügend flexibel gestaltet, kann es nachhaltig Wettbewerbsvorteile schaffen und Marktchancen ohne Verzögerung nutzen.

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