Loyalität oder Integrität – was ist wichtiger?

Loyalität oder Integrität – was ist wichtiger?

März 2024

Anela Gantenbein

, EMBA, B.A. Politik-, Verwaltungswissenschaften, Soziologie, M.A. Wirtschaftspsychologie

Warum die Integrität einer Person bei der Selektion zentral ist. 

Fragt man Personalverantwortliche nach den gewünschten Eigenschaften eines Mitarbeitenden, so wird oft «Loyalität» genannt. Aber trifft diese Antwort wirklich zu, und vor allen Dingen: Ist Loyalität als zentrale Eigenschaft tatsächlich zielführend? Unsere Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass Loyalität durch Integrität ersetzt wird. Was genau bedeutet Integrität eigentlich? Woran denken wir spontan bei diesem Begriff? Und was genau ist der Unterschied zwischen Loyalität und Integrität? 

 

Die meisten Menschen verbinden Integrität mit Vertrauen und Ehrlichkeit. Manche verwenden die Begriffe Integrität und Loyalität synonym. Dabei handelt es sich um zwei völlig unterschiedliche Werte. Loyale Mitarbeitende identifizieren sich im positiven Falle intrinsisch motiviert und freiwillig mit dem Unternehmen, der Führungskraft oder einer anderen Bezugsperson. In der Regel ist Loyalität zu einem Subjekt hin gerichtet und entfaltet ihre Wirkung somit immer in der Interaktion mit jemand anderem. Sich loyal zu verhalten, hat zunächst aber nichts mit den eigenen Werten und Überzeugungen zu tun. Vielmehr bedeutet es, die eigenen Bedürfnisse zu Gunsten des Loyalitäts-Empfängers zurückzustellen. Zum Beispiel redet ein loyaler Mitarbeitender nicht schlecht über seinen Arbeitgeber, auch wenn er mit einzelnen Entscheidungen oder der Gesamtsituation unzufrieden ist. Es fällt auf, dass sich Loyalität-Geber und -Empfänger oft nicht auf Augenhöhe befinden und Loyalität insbesondere in hierarchisch geprägten Organisationen eine grössere Rolle einnimmt als in Organisationen mit flachen Hierarchien. 

 

Gilt ein loyaler Mensch auch gleichzeitig als integer? 

 

Um diese Frage zu beantworten, ist es wichtig, den Begriff Integrität anhand von drei charakteristischen Merkmalen zu verstehen. 

 

1. Worte und Taten sind kongruent

 

Integrität bedeutet, dass die Worte und Taten einer Person kongruent sind. Das, was man sagt, meint man auch und das eigene Verhalten entspricht diesen Worten. Wenn zwischen den Absichten und dem Verhalten jedoch eine Kluft besteht, führt das zu Unsicherheit beim Gegenüber. Oft sind wir uns eines solchen Verhaltens selbst gar nicht bewusst – es entspringt unserer Gewohnheit. Versprechungen, die nicht eingehalten werden, führen zu einem Vertrauensverlust; die Integrität der Person leidet. Integrität ist somit stark in der Persönlichkeit eines Menschen verankert und kann nur schwer vorgetäuscht werden. Hingegen ist Loyalität nur das beobachtete oder wahrgenommene Verhalten und kann auch einfach simuliert werden. Für die meisten bedeutet Integrität Ehrlichkeit. Doch das allein zeichnet Integrität nicht aus. Integrität ist auch der Mut, das Richtige zu tun, selbst wenn es schwer fällt. Es bedeutet, sich in einer bestimmten Situation dazu zu entscheiden, die Wahrheit zu sagen, weil man davon überzeugt ist, selbst wenn die Wahrheit unangenehm ist oder sogar weh tut. Das braucht Mut und das Vertrauen, dass man mit den Reaktionen und Konsequenzen umgehen kann. Während Integrität somit Kongruenz zwischen den eigenen Werten und Taten bedeutet, kann Loyalität als reine Treue einer Person gegenüber verstanden werden.  

 

2. Individuelle Moralität 

 

Ein zweites unabdingbares Merkmal von Integrität ist die individuelle Moralität. Hierunter versteht man das Bemühen einer Person, nicht nur sich selbst, sondern auch allen anderen gegenüber gerecht zu werden, gleichsam also einen fairen Ausgleich zwischen verschiedenen und häufig divergenten Interessen anzustreben. Integrität ist somit ohne ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein und Gerechtigkeitsempfinden unvorstellbar. 

 

3. «Consistency in Adversity» 

 

Als drittes Merkmal der Integrität gilt die Standhaftigkeit angesichts von Widerständen («consistency in adversity»). Dahinter steht die These, dass es im beruflichen Alltag immer wieder Situationen gibt, in denen es schwierig ist, seinen moralischen Werten und Überzeugungen entsprechend zu handeln. Grund hierfür kann sein, dass bestimmte Handlungen, die uns richtig erscheinen, mit persönlichen Nachteilen verbunden sind. Integrität bedeutet dann, solche Nachteile bewusst in Kauf zu nehmen. Ein Beispiel hierfür sind die «Whistleblower», die im allgemeinen Interesse Missstände aufdecken und dafür in der Regel schwerwiegende persönliche Nachteile zu tragen haben. Ein Handeln gemäss den eigenen Werten wird zudem auch dann problematisch, wenn moralisch fragwürdige oder gar gesetzeswidrige Handlungsweisen mehr Erfolg, Aufmerksamkeit oder höhere Belohnung versprechen. Wer sich hier gegen seine inneren Werte entscheidet, um Vorteile zu erhalten, lässt sich korrumpieren und verliert seine Integrität. 

 

Wollen Sie loyale oder integre Mitarbeitende?

 

Der Idealfall: Mitarbeitende, die integer sind und sich gleichzeitig stark mit dem Unternehmen, den Führungspersonen und Kollegen identifizieren. Und was wollen Mitarbeitende bzw. welche Anforderungen haben Mitarbeitende an ihre Führungspersonen? Integrität spielt im Bereich Führung eine enorm wichtige Rolle. Integre Führungskräfte handeln klar, nachvollziehbar, sind vertrauenswürdig und bleiben auch in schwierigen Situationen standhaft. Integre Führungspersonen zeichnen sich durch Charakterstärke aus und fungieren als Vorbilder. Solche Führungskräfte stehen zu ihren Überzeugungen, leben danach und strahlen Authentizität aus. Integre Führungspersonen delegieren neue Aufgaben viel einfacher ins Team und können besser Verantwortung und Ergebnisse einfordern, weil zwischen Mitarbeitenden und Führungsperson ein hohes Mass an Vertrauen herrscht.  

 

Um herauszufinden, wie es um die eigene Integrität steht, stellen sich folgende Fragen: 

 

  • Kenne ich meine Überzeugungen und Werte? Habe ich ein positives Gefühl, wenn ich für sie eintrete? 
  • Halte ich mich an Zusagen und Versprechungen? 
  • Stimmt mein Handeln mit meinen Werten und Überzeugungen überein? 
  • Bemühe ich mich wirklich, anderen (und mir selbst) gegenüber ehrlich zu sein? 
  • Bin ich offen für neue Impulse und innovative Ideen?  
  • Bin ich bereit, meine eigenen Werte zu hinterfragen oder sogar neu zu definieren? 

 

Was können Organisationen tun? 

 

Da Integrität eine persönliche Eigenschaft ist, wird in der Regel von einer integren Person und selten von einer integren Organisation gesprochen. Organisationen können jedoch gute Rahmenbedingungen für Integrität schaffen, indem sie flache Hierarchien vorgeben und die Unternehmenskultur von integren Führungspersonen gestaltet und gelebt wird. 

Wer als Führungsperson erfolgreich sein will, sollte integer sein! Zumindest lassen sich damit die Führung und Steuerung massiv vereinfachen und Veränderungen besser bewerkstelligen. Eine integre Führung fördert das Vertrauen der unterstellten Mitarbeitenden, steigert ihre Zufriedenheit, begünstigt ihre Integritätsentwicklung und schafft so die Grundlagen für eine deutlich bessere Teamleistung. 

 

Ob Integrität, Loyalität oder Treue: eine Organisation und ihre Personalverantwortlichen müssen die gewünschten Charakterzüge und Persönlichkeitsmerkmale ihrer Mitarbeitenden kennen und ihre Stellenausschreibungen, Anforderungsprofile und die Rekrutierung danach ausrichten. 

 

Wir unterstützen Sie gerne dabei. 

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