Telekom-Trends von denen man spricht. Oder doch nicht? 

Telekom-Trends von denen man spricht. Oder doch nicht? 

September 2018

Iwan Schnyder

, Dipl. El.-Ing. ETH / MAS FHO BAE

«Die immerwährende Verfügbarkeit der mobilen Kommunikation und des Internets hat zur fortschreitenden Digitalisierung und Virtualisierung geführt.»

Digitalisierung, ITaaS, IoT, M2M und Industrie 4.0 – dies sind die Megatrends, die heutzutage in aller Munde sind. Doch es gibt einen mindestens ebenso wichtigen Trend, von dem noch niemand spricht.

Als am 9. Januar 2007 im Silicon Valley das erste iPhone von Apple CEO Steve Jobs vorgestellt wurde, war es nicht das erste Mobiltelefon mit der Möglichkeit, im Internet zu surfen und E-Mails zu bearbeiten. Es war aber das erste Gerät mit einem vollflächigen intuitiven Touch-Display, das die neue Apple-Philosophie der verschiedenen Apps erst ermöglichte.

Heute, lediglich zehn Jahre später, verfügen alle Smartphones und Tablets über die von Apple innovierte Philosophie der grossflächigen Bildschirme und der Applikationen aus App-Stores – und die mobilen Geräte sind nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken. Es wird nicht mehr nur telefoniert, sondern mittels einer riesigen Zahl von Applikationen kommuniziert, Geschäfte abgewickelt oder gar das eigene Haus oder Auto gesteuert. Jedes Unternehmen braucht eine App. Jedes Produkt braucht eine App. Gefragt sind mobile Interaktion und Geschäftsabwicklung rund um die Uhr.

Dies hat grosse Veränderungen im Geschäft und in der Gesellschaft bewirkt. Die immerwährende Verfügbarkeit der mobilen Kommunikation und des Internets hat zur fortschreitenden Digitalisierung und Virtualisierung geführt. Selbst die zwischenmenschlicheKommunikation hat sich hin zu virtuellen Diensten wie Facebook, WhatsApp, Twitter, Instagram oder Snapchat verlagert. In diesem Zuge sind verschiedene Megatrends allgegenwärtig.

Digitalisierung
Von der angelaufenen Digitalisierung versprechen sich Unternehmen und ebenso die öffentliche Hand nicht nur erhebliche Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen, sondern auch neue Funktionalitäten und Möglichkeiten. Darüber hinaus wird die Digitalisierung zu tiefgreifenden Veränderungen führen. So sagte beispielsweise Sergio Ermotti, der CEO der UBS, in einem Interview mit «Bloomberg Markets», dass er in den kommenden zehn Jahren mit einer Streichung von 30 % aller Arbeitsplätze bei der UBS rechnet. Gleiches wird wohl auch in vielen anderen Branchen eintreffen.

Cloud-Services
IT-as-a-Service (ITaaS) beinhaltet die Nutzung von Cloud-Diensten zur Auslagerung von Programmen, Daten und sogar Rechenleistung in externe, im In- und Ausland gelegene Rechenzentren. Das erlaubt, eine komplette IT-Umgebung (für einzelne Personen oder ganze Organisationen) als Dienstleistung zu beziehen und damit die eigenen Kosten zu senken. Die grossen Internetunternehmen machen uns das schon seit Jahren vor: Riesige Rechenzentren, verteilt über die Erde, erbringen die Leistungen jeden Tag.

IoT und M2M
Internet-of-Things (IoT) verfolgt das Ziel, automatisch Informationen aus der realen Welt zu erfassen, miteinander zu verknüpfen und in einem Netzwerk verfügbar zu machen. So meldet beispielsweise die Milchpackung dem Kühlschrank, dass das Haltbarkeitsdatum überschritten ist; der Kühlschrank meldet dies an die mobile App weiter, mit welcher der Hausherr seine nächsten Einkäufe tätigen wird. Machine-to-Machine-Kommunikation (M2M) will mittels automatisiertem Informationsaustausch zwischen Systemen und Teilsystemen wie Produktionsmaschinen, Fahrzeugen oder auch Lagerbehältern – sowohl untereinander als auch mit einer zentralen Stelle – die Effizienz und Flexibilität in der Produktion signifikant erhöhen. In Kombination mit der Digitalisierung entsteht daraus die «Industrie 4.0», die nächste industrielle Revolution.

Der vergessene Megatrend
Bei all diesen rosigen und vielversprechenden Zukunftsaussichten geht jedoch etwas vergessen: Diese Megatrends lassen die Telekommunikation und die zugrundeliegenden Telekommunikationsnetzwerke immer mehr zu einem kritischen Gut unserer Gesellschaft und Geschäftswelt werden.
Ein Gut mit einer mittlerweile vergleichbar hohen Kritikalität wie Nahrungsmittel, Strom und Wasser.
Dass so etwas Wichtiges wie die Kommunikation vergessen geht, erstaunt sehr, ist aber nicht neu, wie das VBS bereits vor einigen Jahren bei der Einführung des Führungsinformationssystems Heer (FIS HE) schmerzlich erfahren musste. So zieht Oberst Michael Kientsch in seinem Fachartikel «Das Führungsinformationssystem Heer (FIS HE) im Einsatz, aus Sicht der Miliz» folgendes Fazit: «… Es wurde eine gut funktionierende und zweckmässige Soft- und Hardware beschafft. Allerdings wurde bei der Planung und Beschaffung von FIS HE der Einfluss der Telekommunikation falsch beurteilt, respektive nicht zeitgerecht eine adäquate Lösung umgesetzt…».

Ursachen oder: Sind 99 % genug?
Es gibt heute kaum Telekomanbieter, die mittels Service Level Agreement ihren Kunden eine Verfügbarkeit der Telekommunikationsdienste garantieren. Vielmehr versteht man heute landläufig unter Verfügbarkeit, dass ein bestimmter Telekomservice überhaupt verfügbar ist. Lassen wir die Zahlen sprechen:

Eine Verfügbarkeit von 99 % gilt heute als grundlegend und normal, zumindest bei qualitativ hochwertigen ICT-Geräten und Diensten. 99 % bedeutet:

Ein Dienst darf nur während 1 % seiner Betriebszeit ausfallen. Für ein System, das 24 Stunden am Tag, an 365 Tagen im Jahr zur Verfügung stehen muss, bedeutet eine Verfügbarkeit von 99 % also, dass es während 1 % des Jahres ausfallen darf. Das sind indessen immerhin jährlich 87,6 Stunden oder beinahe vier Tage. Vier Tage ohne Handy? Und bei einer sogenannten Hochverfügbarkeit von 99,9 % sprechen wir immer noch von einem maximalen Ausfall von 8,76 Stunden pro Jahr, also im schlimmsten Fall einem ganzen Arbeitstag!
Für den Umgang mit diesem Problem existieren heute drei Möglichkeiten:

1 Erhöhte Verfügbarkeit
Mobil- und Festnetze müssen künftig nicht nur aufgrund von verfügbaren Datenraten und den damit verbundenen Kosten bewertet werden. Es kommen neue Anforderungen an eine stetige Verfügbarkeit und Qualität hinzu; Kunden werden sehr gerne bereit sein, dafür mehr zu bezahlen. Einige Telekomprovider haben dies bereits erkannt: Olaf Swantee, der CEO von Sunrise, spricht denn auch vom Ziel eines «Defect Free Network».

2 Redundanzen
Der Einsatz von verschiedenen redundanten Telekomdiensten – beispielsweise eine aufeinander abgestimmte Kombination von Fest- und Mobilfunkanbindungen – erlaubt, den Ausfall eines Systems mit einem zweiten System aufzufangen oder zumindest abzumildern. Mit dieser Methodik arbeitet die Flugzeugindustrie schon seit Langem: Nur damit war es möglich, die Anzahl Flugzeugabstürze auf ein absolutes und akzeptables Minimum zu reduzieren.

3 Resilienzen
Die Geschäftsprozesse können derart ausgestaltet werden, dass sie resilient, also widerstandsfähig, gegen Ausfälle sind. Einzelne Schlüsselprozesse und Prozessschritte können so entworfen sein, dass sie auch bei einem Ausfall der Telekommunikation noch funktionieren, wenn auch mit gewissen Einschränkungen in der Performanz. So verfügen zum Beispiel Spitäler immer noch über zusätzliche auf Papier gedruckte Listen für die Medikamentenabgabe an die Patienten, sodass auch bei einem Kommunikations- oder Systemausfall eine korrekte Medikation sichergestellt ist.

Fazit
Mit den erwähnten Megatrends steht ein bunter Strauss an neuen Möglichkeiten und Chancen zur Verfügung, um Geschäftsmodelle neu und Prozesse effizienter und effektiver zu gestalten. Die dadurch zunehmende Abhängigkeit von der Telekommunikation und das damit verbundene Risiko bei deren Ausfall können jedoch mittlerweile zur substanziellen Bedrohung für eine Organisation werden.

Dagegen gibt es drei Mittel:

  • Erhöhung der Verfügbarkeit der Kommunikationsdienste
  • Schaffung von Redundanzen
  • Schaffung von resilienten Prozessen

Mit der geeigneten Kombination dieser drei Mittel lassen sich wirkungsvolle und gleichzeitig bezahlbare unternehmensspezifische Lösungen schaffen.

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