Unternehmertum in der Milchproduktion: Betriebsleiter mit Kopf, Herz und Hand 

Unternehmertum in der Milchproduktion: Betriebsleiter mit Kopf, Herz und Hand 

Mai 2017

Josef Schmid

, Dipl. Ing. Agr. ETH / Dipl. Betriebsökonom FH / MAS Coaching

«Eine offene, unternehmerisch geprägte Denkweise, die Orientierung am Kunden sowie ein starkes Produktivitätsbewusstsein sind Voraussetzungen für den Betriebserfolg.»

Die Herausforderungen, aber auch der Handlungsbedarf in der Betriebsleitung der Milchwirtschaftsbetriebe sind gross. Josef Schmid sieht neben der Freude an Vieh und Arbeit einen weiteren Faktor als entscheidende Grundvoraussetzung: Die unternehmerische, eigenverantwortliche, offene Denkweise. Das Zusammenspiel von Kopf, Herz, und Hand bilden damit nach Schmid die drei Erfolgsfaktoren in der Betriebsführung. Im Gespräch mit der VMMO erläutert er seine Erfahrungen.

«Bauer sein ist einer der schönsten Berufe», davon ist Josef Schmid überzeugt, «auch wenn dies ein ständiges Am-Ball-bleiben bedeutet.» Jeder Unternehmer ist heutzutage täglich aufs Neue gefordert, sich selbst in Frage zu stellen, um längerfristig im Wettbewerb überleben zu können. Doch was heisst das konkret? Josef Schmid erläutert die wichtigsten Handlungsachsen.

Den heutigen Kunden kennen
Ein erfolgreiches Unternehmen muss die Bedürfnisse des Marktes und der Kunden kennen. Diese Bedürfnisse sind auch in der Landwirtschaft einem steten Wandel unterworfen. Josef Schmid erwähnt, dass auch Beratungsfirmen sich dem Marktumfeld und damit den Kundenbedürfnissen entsprechend anpassen und überwachen müssen, wer die Kunden sind. So hatte seine Beratungsfirma beispielsweise früher viele Aufträge von Textilfirmen. Die Aufträge in diesem Bereich hätten sich jedoch aufgrund des Strukturwandels im Textilbereich reduziert und so musste die Beratungsfirma ihre Strategie anpassen. «Das bedeutete sich den veränderten Kundenbedürfnissen zu stellen und neue Möglichkeiten im Markt zu erkennen», führt Schmid aus. 

Den unternehmerischen Spielraum ausschöpfen
Ist die Rede vom Spielfeld der Möglichkeiten auf dem Betrieb, wird die Betriebsleitung oftmals auch mit Traditionen konfrontiert. «Traditionen sind wichtig und sehr wertvoll – in gewissen Ausprägungen können diese jedoch auch eine hemmende Wirkung auf Erneuerungen haben», erläutert Schmid. Traditionen stehen dabei nicht im Widerspruch zu Anpassungen an die heutige Zeit. Die Bodenhaftung der Bauern könne jedoch auch zu einem zu starken Angewurzeltsein führen und somit zu einer Schwäche werden, so Schmid. Einen Erfolgsfaktor der erfolgreichsten Betriebe sieht Schmid daher in deren Denkweise und Haltung: «Die erfolgreichsten Betriebsleiter könnten auch ein Unternehmen in einer anderern Branche wirtschaftlich führen.» Die Bauern wurden sehr lange vom Staat abhängig gemacht. Umso wichtiger ist es heute, sich aus dieser Abhängigkeit nach Möglichkeit zu lösen. In vielen Bereichen stehe sich die Betriebsleitung selbst im Weg. Mehr Eigenverantwortung sei gefragt. Jeder Mensch sei selbst dafür verantwortlich, worauf er sich in seinem Leben fokussiere und ob er sich dabei in einseitige Abhängigkeiten begebe, so Schmid.

«Als Betriebsleiter habe ich die Möglichkeit, meinen unternehmerischen Spielraum auszuschöpfen.»

«Es gibt kein Patentrezept, welches für alle Betriebe in der Schweiz gilt», so Schmid, «das ist in allen Sektoren gleichermassen der Fall: Jedes Unternehmen muss seinen eigenen Weg finden.» Vielmehr gelte es, nach spezifischen, an den Betriebsleiter angepassten Lösungen zu fahnden, Optionen zu entwickeln und dabei die Freiheit zu nutzen, die sich durch den Beruf ergeben.

Kopf, Herz und Hand vereinen
Josef Schmid sieht dabei die Dreieinigkeit von Kopf, Herz und Hand als strategische Erfolgsfaktoren für die Betriebsleitung. Die Hand steht für den körperlichen Einsatz. Das Herz symbolisiert die Freude: Die Freude am Vieh, die Freude an der Arbeit, welche essenziell ist für die Milchproduktion. Und zu guter Letzt steht der Kopf für das unternehmerische Denken.

«Ein Betriebsleiter braucht Kopf, Herz und Hand.»

«So fragt sich der erfolgreiche Betriebsleiter immer wieder: ‹Mache ich das Richtige und welche Alternativen gibt es?›», folgert Schmid. Als ausschlaggebend betrachtet Josef Schmid dabei, dass ein Betriebsleiter nicht nur am Vieh, sondern an einem ganzheitlich florierenden Betrieb Freude hat. Werden nur Herz und Hand eingesetzt, so bewirtschaftet ein Bauer seinen Betrieb als Angestellter. Die Betriebsleitung «chrampft» viel, hat grosse Freude am Vieh und blendet die Problematik des gesamtbetrieblichen wirtschaftlichen Erfolgs zum Teil aus. Setzen Bäuerin und Bauer jedoch auch den Kopf im Sinne von unternehmerischem Denken ein, so haben sie die Chance, zu eigenverantwortlichen, erfolgreichen Betriebsleitern zu werden. Unternehmerisches Denken bedeutet, sich verschiedene Optionen für den Betrieb zu überlegen und den Mut zu haben, seinen eigenen erfolgsversprechenden Weg konsequent zu gehen. Dabei ist entscheidend, dass echte Handlungsoptionen nur so lange getroffen werden können, als auch die Liquidität und finanzielle Reserven vorhanden sind.

Innovation im Alltag integrieren
Gemäss den Statistiken sind im Vergleich zwischen dem ersten und zweiten Sektor enorme Unterschiede in der Produktivitätsentwicklung der letzten 20 Jahre festzustellen: «Während der zweite Sektor eine Steigerung der Produktivität pro Arbeitsstunde von 56 auf 78 Franken vollziehen konnte, erreichte die Landwirtschaft gerade mal eine minime Steigerung von 15 auf 16 Franken», stellt Schmid fest. Ein Teil des grossen Unterschiedes ist sicherlich mit anderen Rahmenbedingungen und Marktverhältnissen zu erklären. Jedoch meint Schmid, dass ein Teil davon auch in der Eigenverantwortung der Betriebsleiter liege. Innovation ist ein Weg, produktiver zu werden. «Neues auszuprobieren, gehört für mich zum Unternehmertum dazu», erklärt Schmid. Dabei bedeutet Innovation nicht nur, Produkte zu entwickeln und zu erfinden. Innovationen können auch Arbeitsabläufe betreffen. Die Betriebsleitung kann sich beispielsweise die Fragen stellen: Wie kann ich ein gleiches Produkt günstiger herstellen? Könnte ich meine Tätigkeit anders machen? Produziere ich nur fürs Herz oder für den Gesamtbetrieb? Räume ich mir Zeit ein und kann ich ab und zu auch die Vogelperspektive einnehmen? Milchbäuerinnen und -bauern überlegen hier vielleicht, ob die bisherigen fünf Futterbauschnitte wirklich rentabel und die richtige Strategie für den Betrieb sind. Wie sieht es dabei mit Kosten und Mehrerlös aus? Würden vier Schnitte einen Unterschied machen? Könnte durch das neu entstandene freie Zeitfenster ein Freiraum für die strategische Arbeit geschaffen werden? Und zu guter Letzt: Passt es in meinen Betrieb?

Verbände als Spiegel nutzen
Wenn wir von Sichtweise sprechen, kommt auch dem Blickwinkel eine zentrale Rolle zu. «Verbände sind nicht nur da, um politisch zu poltern und das zu sagen, was die Bauern hören wollen», so Schmid. Die Aufgabe und Verantwortung der Verbände sieht Schmid auch in einer Spiegelfunktion.

«Verbände müssen ihren Mitgliedern den Spiegel hinhalten.»

Konkret heisst dies, sich nicht nur auf Politik und Abnehmer zu fokussieren, um zu sehen, was falsch läuft, sondern das Augenmerk auch auf die Betriebsleiter selbst zu richten: «Verbände haben die Aufgabe, ihren Mitgliedern aufzuzeigen, wo noch Handlungsbedarf besteht », folgert Schmid – das heisst, die Kräfte auch zur Aktivierung des Unternehmerpotenzials des Betriebsleiters einzusetzen. Denn eine offene, unternehmerisch geprägte Denkweise, die Orientierung am Kunden sowie ein starkes Produktivitätsbewusstsein sind Voraussetzungen für den Betriebserfolg. Und somit sind wir wieder beim zentralen Erfolgsfaktor des Milchwirtschaftsbetriebes angelangt: Der Betriebsleitung mit Kopf, Herz und Hand.

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