Von der Arbeit

Von der Arbeit

Juni 2017

Felix Lämmler

, Dipl. El.-Ing. FH / Exec. MBA

«Indem wir arbeiten, begegnen wir der Welt – der Umwelt, die sich laufend neu erfindet, und der Innenwelt, die uns mit uns selbst konfrontiert.»

Die Arbeit ist ein grandioser Nährboden für Leistung, Kreativität, Anerkennung, soziale Verbundenheit und Freude. In vielen Fällen prägt sie unsere Identität. Sie birgt auch einige Herausforderungen.

Bereits vor Jahrhunderten galt die Arbeit als Option („Macht euch die Erde untertan“) oder als strafende Verpflichtung („Im Schweisse deines Angesichts sollst du dein Brot essen“). In der jüdisch-christlichen Tradition wurde jeder geachtet, der einer Arbeit nachging, selbst wenn diese als minderwertig galt. Wer es sich im Römischen Reich leisten konnte, arbeitete nicht, sondern liess arbeiten. Lenin wiederum liess sich von Paulus inspirieren:
„Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“, was postum zur sozialistischen Maxime wurde: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ Während bis zur Neuzeit und darüber hinaus die Arbeit als handfestes Mittel „zum Mensch werden“ propagiert wurde, überwiegt in der aktuellen Zeitgeschichte eine andere Diskussion: Im Zentrum der Arbeit stehen nicht nur ökonomische Aspekte, sondern auch weiche Faktoren wie Verbundenheit, Sinnhaftigkeit, Erfüllung und Zugehörigkeit.

Unsere Identität
Durch Arbeit erleben wir unseren Körper, unsere Sinne, Potenziale und Grenzen. Arbeit berührt Fragen der sozialen Hierarchie und Zugehörigkeit. Kurzum: Indem wir arbeiten, begegnen wir der Welt – der Umwelt, die sich laufend neu erfindet, und der Innenwelt, die uns mit uns selbst konfrontiert. Erfahrungen, Kompetenzen und die Selbstbegegnung prägen unsere Identität. Was wir durch Arbeit leisten, macht Freude, und wo wir Anerkennung und Wertschätzung gewinnen, wird Arbeit zur Resonanzerfahrung. Anerkennung und Wertschätzung bedeuten das Erleben von Erfüllung und Glück.

So viel zu den positiven Seiten des Arbeitens. Es gibt aber auch die negativen. Etwa Arbeit in prekären Arbeitsverhältnissen, ohne Verlässlichkeit, mit Ausbeutung, in andauernder Überforderung oder den Fall, dass Menschen Arbeit suchen, jedoch keine finden. Diese Gruppe mitsamt ihren Familien ist hinsichtlich Gesundheit und Lebensqualität noch schlechter gestellt als diejenigen, die unter schlechten Arbeitsbedingungen berufstätig sind.

Die Mehrheit der grossen Denker liess und lässt keinen Zweifel an der Notwendigkeit, dass der Mensch arbeitet. Immanuel Kant sah die Arbeit als „sittliche Pflicht“ und sprach sich dafür aus, schon „Kindern die Neigung zur Arbeit in der Schule zu lernen“. Auch Karl Marx sah „die ganze sogenannte Weltgeschichte als nichts anderes als die Erzeugung des Menschen durch menschliche Arbeit“. Ohne Arbeit können wir nicht leben. Arbeit kann uns gesund erhalten, aber auch krank machen.

Was lernen wir daraus?
Wir leben in einer sich laufend verändernden Welt: Die globalisierte Wirtschaft und neue Formen der Digitalisierung haben unsere Industrialisierung stark geprägt und einen permanenten Strukturwandel und die Beschleunigung des Lebens verursacht. Solche Veränderungen erzeugen eine enorme Kraft. Diese kann mit folgenden Parametern durch Arbeitgeber, Vorgesetzte, Beschäftigte und wirtschaftspolitische Massnahmen gelenkt werden:

Anerkennung:
Angemessene finanzielle Entschädigung sowie Anerkennung durch Vorgesetzte und Kollegen für die geleistete Arbeit.

Spielraum:
Keine einengenden Vorschriften. Die Mitarbeitenden sollen ihre Arbeit in der Form leisten, die ihnen am besten entspricht. Zudem sollen sie Einfluss auf die Arbeitsgeschwindigkeit ausüben können.

Work-Life-Balance:
Schaffen von Gleichgewicht zwischen Anforderungen und Bedürfnissen in allen Lebensbereichen, um die individuelle Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit zu sichern.

Arbeitsmenge:
Anpassen der Aufgabe an die Fähigkeiten. Keine Belastung ohne Erholung.

Arbeitsklima:
Gute kollegiale Beziehungen und angepasster Umgang mit Konflikten, angemessener Informationsaustausch.

Beachtung von Werten:
Arbeit, Produktionsweise und Produkte müssen für die Mitarbeitenden moralisch vertretbar sein.

Gerechtigkeit:
Gleicher Lohn und gleiche Wertschätzung für vergleichbare Arbeit. Gerechte Verteilung der Arbeit.

Die Arbeit kann eine Quelle des Glücks sein, eine schöpferische Lust und die Voraussetzung zur Selbstverwirklichung. Interventionen sind hingegen gefragt, wo Menschen in der Arbeit entwürdigt, mit sinnentleerten Arbeitsschritten beschäftigt, schlecht bezahlt oder zu seelenlosen Geschöpfen degradiert werden. Zu intervenieren gilt es zudem bei Arbeitgebern, welche die Arbeit als Mittel zur Unterdrückung missbrauchen, bei Vorgesetzten, die mit ihrem Mikromanagement jede Kreativität ihrer Mitarbeiter ersticken – und zu guter Letzt bei jedem, der sich zum Arbeitssüchtigen entwickelt und damit selbst schadet. Gegen Letzteres empfiehlt der britische Mathematiker, Philosoph und Nobelpreisträger Bertrand Russell in seinem Essay „Lob des Müssiggangs“ ein neues Denken: Nicht faulenzen, aber doch deutlich mehr für sich arbeiten, lautet seine Botschaft. Dem ist wenig anzufügen: Gezielter Müssiggang will gelernt sein – und ist eine herausfordernde Arbeit.

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